Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
Vom Netzwerk:
hatte, und auch seine illegalen Nachforschungen über die Morde zu verschweigen. Statt dessen schilderte er dem alten Mann seine Schreib- und Wohnstube und erzählte von seinen Aufgaben, wobei er alles in einem so hellen Licht wie möglich erstrahlen ließ, ohne prahlerisch zu erscheinen. Von der Kälte seiner Amtskollegen, seiner Einsamkeit und seinen Problemen sagte er nichts.
    Sanos Lohn war der Stolz, der sich in den Augen seines Vaters spiegelte. Der alte Mann setzte sich ein wenig auf, und Sano konnte plötzlich wieder den Krieger sehen, der einst beim Schwerttraining allein gegen ganze Übungsgruppen von Samurai gekämpft hatte.
    »Diene weiterhin gehorsam und treu deinem Amt und den Vorgesetzten«, ermahnte er Sano, »dann wirst du stets einen Herrn haben. Niemals darfst du zu einem rōnin werden.«
    Sanos Vater war zum rōnin geworden – zu einem herrenlosen Samurai –, als der dritte Tokugawa- Shōgun, Iemitsu, vor vierzig Jahren die Ländereien des Fürsten Kii beschlagnahmte, was dazu geführt hatte, daß Sanos Familie und die anderen Gefolgsleute des Fürsten für sich selbst sorgen mußten. Von dem Schlag, seinen Herrn, seinen Lebensunterhalt und seine erbliche Stellung verloren zu haben, die über viele Generationen hinweg auf ihn übergegangen war, hatte der Stolz des alten Mannes sich nie mehr erholt. Doch im Unterschied zu anderen rōnin war Sanos Vater nicht zu einem Rebellen oder Gesetzlosen geworden. Statt dessen hatte er die Akademie für Waffenkampf gegründet und ein anständiges Leben geführt, seine Scham und seinen Kummer jedoch stets im Herzen getragen.
    Als Kind hatte Sano zum ersten Mal von der Großen Verschwörung von vierhundert rōnin gehört, die versucht hatten, die Regierung zu stürzen. Er hatte die Geschichte nicht geglaubt. Doch jetzt, als Erwachsener, spürte er die Unterströme der Unzufriedenheit, die noch immer unter der ruhigen Oberfläche des Landes flossen, und er erlebte die ständigen Bemühungen der Tokugawas, die Rebellionen aufzudecken und zu ersticken, die unter arbeitslosen, unzufriedenen Samurai hin und wieder aufflammten.
    Damals, als Junge, hatte Sano irrtümlich angenommen, daß alle rōnin aufrechte, gesetzestreue Männer wären wie sein Vater, welche ihre Kräfte und ihren Ehrgeiz allein darauf richteten, ihre Söhne zu Männern zu formen, die dort Erfolg hatten, wo die Väter versagt hatten. Nun stieg eine Woge von Schuldgefühlen in Sano auf, als er sich fragte, was sein Vater denken würde, wüßte er, daß sein Sohn Schande und eine mögliche Entlassung aus dem Amt riskierte, weil er den Befehlen seines neuen Herrn nicht gehorchte.
    Gleichzeitig aber loderte ein Funke irrationalen Zorns in Sanos Innerem auf. Hatte nicht sein Vater – wie unbeabsichtigt auch immer – die Wahrheitsliebe und den Forscherdrang in ihm entfacht, die nun seine Zukunft gefährdeten? Hatte nicht sein Vater ihn auf die Tempelschule geschickt, um Literatur, Musik, Mathematik, Recht, Geschichte, politische Theorie und die chinesischen Klassiker zu studieren und auf diese Weise eine Ergänzung zur rein militärischen Ausbildung zu schaffen, die Sano zu Hause erhielt? Die Mönche hatten ihn viel mehr gelehrt, als bei einem gewöhnlichen Fußsoldaten üblich war; denn in einem Land, in dem praktisch kein Krieg mehr herrschte, wurden keine Soldaten mehr gebraucht. Die Mönche hatten Sano gelehrt, seinen Verstand zu gebrauchen, statt blind Befehlen zu gehorchen, wie es in dem Regierungsamt erforderlich war, das sein Vater ihm verschafft hatte.
    »Jetzt, wo du den Weg des Ruhmes gehst, brauche ich mich nicht mehr gegen den Tod zu wehren. Jetzt kann ich in Frieden sterben«, sagte Sanos Vater so leise wie im Selbstgespräch.
    Sanos Zorn verflog; die Schuldgefühle blieben. Er erkannte, daß sein Vater nur deshalb gegen die Krankheit gekämpft und sich so lange ans Leben geklammert hatte, um noch erleben zu können, daß sein Sohn sicher versorgt war. Jetzt gab der alte Mann auf. Wie konnte Sano sein Amt gefährden, das nach dem innigsten Wunsch des Vaters seine Zukunft sichern sollte? Wie konnte er einen Weg beschreiten, der ihm jene Menschen zu Gegnern machen würde, die seine Zukunft bestimmten? Die Antwort war einfach: Er durfte nicht so weitermachen. Der Geist seines Vaters würde ihm niemals verzeihen. Und das waren die Nachforschungen über die Morde nicht wert. Wahrheit und Gerechtigkeit konnten Noriyoshi und Yukiko nicht wieder zum Leben erwecken. Sano würde es sich nie

Weitere Kostenlose Bücher