Der Kirschbluetenmord
Edo. Ich muß in einer amtlichen Angelegenheit mit Wisterie reden. Seid Ihr so freundlich und laßt ihr ausrichten, daß ich hier bin?«
Roter Kimono war unbeeindruckt, doch offensichtlich ein wenig verärgert darüber, ihre Bemühungen an einen Mann verschwendet zu haben, der kein möglicher Kunde war. Sie legte ihr kokettes Gehabe ab und sagte: »In Eurer Welt, yoriki, müssen andere Euren Befehlen gehorchen. Ich aber gehöre nicht zu Euren Dienern.« Wieder kicherten die anderen Frauen. »Es sei denn …«
Mit verächtlichem Blick musterte sie Sano, betrachtete seinen schlichten Umhang und den Hut. Ein hochmütiges Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. Es sei denn, du hast Geld genug, mich zu bezahlen, sagte dieses Lächeln; dann werde ich sehen, was ich tun kann.
»Bitte«, sagte Sano. »Es ist sehr wichtig. Ich muß mit Wisterie über Noriyoshi reden.«
Als Noriyoshis Name fiel, schwand das Lächeln von Roter Kimono. Sie nickte Sano kurz zu; dann drehte sie sich um und winkte jemandem im Zimmer hinter ihr. Augenblicke später öffnete ein Hausmädchen die Tür und verbeugte sich vor Sano.
»Geht mit ihr«, sagte Roter Kimono.
Sano trat in den Eingangsflur des Palasts des Himmlischen Gartens und zog die Sandalen aus. Als er seine Schwerter in ein Holzregal legte, mußte er daran denken, daß Sicherheit und Etikette vorschrieben, Waffen gar nicht erst mit in ein solches Haus zu nehmen: Eine unglückliche yūjo konnte versuchen, ihrer aufgezwungenen Knechtschaft zu entfliehen, indem sie mit einer unbeaufsichtigten Waffe Selbstmord beging.
Im großen Salon lagen yūjo und ihre Kunden plaudernd und lachend auf schimmernden Seidenkissen. Ein Shamizen-Spieler trug ein volkstümliches Liebeslied vor. Dienstmädchen gingen mit Tabletts voller Delikatessen und gefüllten Reisweinschalen zwischen den Liegenden umher. Münzen klimperten, als die Kunden – reiche Kaufleute, der prächtigen Kleidung nach zu urteilen – den Mädchen großzügige Trinkgelder zusteckten. Sano folgte seiner Führerin durch den Salon und eine Schiebetür und gelangte hinaus auf die überdachte Veranda.
Vor der Veranda lag ein Garten, der im Frühling und Sommer gewiß der Schauplatz vieler ausgelassener Feiern war, wenn die Kirschbäume ihre Blüten über den Rasen, auf die steinernen Laternen und in den Zierteich verstreuten, in dessen Mitte sich eine Insel mit einem kleinen Tempel befand. Jetzt, zum Ende des Winters, war der Garten menschenleer. Doch auf den Veranden der Gebäude, die den Garten umschlossen, brannten Laternen – eine über jeder Tür. Sanftes Licht fiel durch die Fenster. Aus einigen Zimmern, in denen die yūjo bereits damit begonnen hatten, ihren Freiern ungestört jene Vergnügungen zu bereiten, derentwegen sie gekommen waren, erklang leises Lachen.
Das Dienstmädchen wies auf eine Tür, die sich an der hinteren linken Ecke der Veranda befand. »Dort, Herr.«
Sano ging in die gewiesene Richtung und klopfte an die Tür. Er wartete. Aus dem Zimmer erklang kein Lachen, nur erwartungsvolle Stille. Dann:
»Kommt herein.« Es war eine Frauenstimme; die gezwungene Fröhlichkeit, die in der kurzen Aufforderung lag, war unüberhörbar.
Sano trat ein und verbeugte sich vor der Frau, die an einem Schminktisch aus Lack saß. »Guten Abend, ehrenwerte Wisterie.«
Die Frau hatte Sano das Gesicht zugewandt und ihn mit einem willkommen heißenden Lächeln angeschaut; jetzt schwand das Lächeln plötzlich. »Ich hatte jemand anderen erwartet«, sagte sie. »Wer seid Ihr?« Anders als bei Roter Kimono war Wisteries Sprache ein schlichtes, ungekünsteltes Edo – vermutlich, weil Sanos Anblick sie überrascht hatte.
Noch einmal verbeugte sich Sano und stellte sich vor, während er Wisterie insgeheim musterte. Sie paßte ganz und gar nicht in das Bild, das er sich von Noriyoshis Freundin gemacht hatte. Sano hatte eine Frau erwartet, die die Blüte ihrer Jahre längst hinter sich hatte und für ihre Kunden eine Art Mutterrolle spielte. Doch Wisterie war nicht älter als zwanzig und sichtlich eine yūjo der ersten Garnitur. Sie trug einen prächtigen, schwarzweiß karierten Kimono aus Seidenbrokat mit einem kräftigen Muster aus lavendelfarbenen Wisterienblüten und blaßgrünen Blättern, das sich von der linken Schulter quer über den ganzen Kimono bis hinunter zum Saum erstreckte. Es war ein sichtlich teures Kleidungsstück. Die ungewöhnlich runden Augen der jungen Frau verliehen ihrem zarten Gesicht einen exotischen, reizvollen
Weitere Kostenlose Bücher