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Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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Shamizen.
    Das Lied endete; die Musik verstummte. In der plötzlichen Stille ging ein Raunen durch das Publikum. Köpfe ruckten herum; Blicke wandten sich dem hinteren Teil des Theatersaales zu.
    »Er kommt«, flüsterte jemand.
    Die Rasseln erklangen wieder – laut und hektisch. Sano konnte die spannungsvolle Erwartung spüren, die das Publikum gepackt hatte.
    Langsam und anmutig schritt eine Frau den Mittelgang hinunter, der sich vom hinteren Teil des Saales bis zur Bühne erstreckte. Prinzessin Taema, gewandet in einen prächtigen purpurnen Seidenkimono, der mit Chrysanthemen bedruckt war, kam herbei, um den Regen und ihr Volk aus den dämonischen Krallen des wahnsinnigen Mönchs zu befreien. Ihr Gesicht war wunderschön: dick mit weißem Puder bedeckt und mit blutrot geschminktem Mund. Ihr langes schwarzes Haar war an den Seiten nach hinten gekämmt und fiel ihr bis zur Taille.
    »Kikunojō.« Wie ein kollektiver Seufzer der Bewunderung durchlief der Name die Zuschauerreihen. »Ki­kunojō.« Dann brach der ganze Saal in Jubelstürme aus.
     
    Prinzessin Taema erreichte die Bühne. Im Publikum wurde es totenstill, als sie zu singen begann. Sano kniete wie angewurzelt auf der Fußmatte. Er hatte zwar gewußt, daß Kikunojō Edos führender onnagata war – ein Spezialist für weibliche Rollen –, doch Sano konnte es nicht fassen, daß die Gestalt auf der Bühne ein Mann war. Die Stimme, die Körperhaltung, die Miene, die Gesten, jede Bewegung waren von vollkommener Weiblichkeit. Nicht einmal das Kopftuch aus purpurnem Stoff, das den rasierten Scheitel Kikunojōs bedeckte, konnte dieser Illusion Abbruch tun. Fasziniert beobachtete Sano, wie Prinzessin Taema den verrückten Mönch mit ihren Verführungskünsten betörte. Gewiß, jeder weibische Mann konnte so gekleidet und geschminkt werden, daß er einer schönen Frau ähnelte, doch Kikunojōs schauspielerisches Genie bestand darin, daß er nicht nur weibliche Äußerlichkeiten wiedergeben, sondern auch weibliche Gefühle perfekt zum Ausdruck bringen konnte. Sano konnte die sexuelle Spannung spüren, die von Prinzessin Taema auf Mönch Narukami übersprang, und er wußte, daß es den anderen Zuschauern nicht anders erging. Wie konnte Narukami sich der List Prinzessin Taemas widersetzen?
    Er konnte es nicht. Mit viel Gesang und noch mehr Gesten gab der Mönch sich schließlich geschlagen. Prinzessin Taema konnte das magische Band zerschneiden, das den Regen an den Himmel fesselte. Die Musiker ahmten das Geräusch niederprasselnden Wassers nach. Unter Jubelrufen, Applaus und Pfiffen wurde Japan gerettet.
    Sano blieb an seinem Platz, bis die meisten Zuschauer das Theater verlassen hatten. Dann verließ er die Loge und ging auf die Bühne, wo Kikunojō vor einer Gruppe weiblicher Bewunderer Hof hielt.
    Der onnagata war größer, als er von weitem ausgesehen hatte. Kopf und Schultern ragten hoch über die Frauen hinweg, die sich um ihn drängten. Sano stellte fest, daß Kikunojō sogar ihn überragte. Der Schauspieler, der den verrückten Mönch dargestellt hatte, mußte Sandalen mit sehr dicken Sohlen getragen haben, um größer als die »Prinzessin« zu erscheinen.
    Als Sano näher kam, entdeckte er weitere Merkmale, die Kikunojōs wirkliches Geschlecht erkennen ließen: Die langen, anmutigen Hände, die mit demselben weißen Puder geschminkt waren wie das Gesicht des onnagata, besaßen große Fingerknöchel und knochige Gelenke. Seine Gesichtszüge waren zwar fein, doch fehlte es ihnen an femininer Weichheit. Einige Tricks und Kniffe, die Kikunojō benutzte, um seine Männlichkeit zu verbergen, waren offensichtlich: Das lange, herunterhängende Ende seiner speziell gefertigten Schärpe ließ ihn kleiner erscheinen, und er hielt stets das Kinn gesenkt, um seinen Adamsapfel zu verbergen.
    Doch das alles schien Kikunojōs weibliche Bewunderer nicht zu stören. Im Gegenteil: Der Anblick männlicher Kraft, die sich unter weiblicher Kleidung, Schminke und Frisur verbarg, erregte die Frauen. Sie erröteten und kicherten, als eine nach der anderen schüchtern auf ihn zutrat, um ihm ein Geschenk zu überreichen: ein liebevoll eingewickeltes Päckchen, ein gestammeltes Kompliment. Mit ätherischem Lächeln und anmutigen Verbeugungen nahm Kikunojō diese Huldigungen entgegen. Er legte die Geschenke auf einen kleinen Tisch, der offensichtlich nur zu diesem Zweck diente.
    »Na los, nun mach schon, du alter Feigling!« Eine Frau neben Sano stieß ihre Begleiterin an, eine

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