Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
Vom Netzwerk:
und Skandalen führte. Die Regierung reagierte darauf, indem sie die weiblichen Schauspielerinnen von der Bühne verbannte. Seitdem wurden sämtliche Rollen von männlichen Darstellern gespielt.
    Aber damit hatte der Ärger kein Ende. Die Schauspieler standen den Kurtisanen in nichts nach, was die Fähigkeit betraf, öffentliche Empörung auszulösen. Im Gegenteil: Die onnagata zogen sowohl Frauen an, die ihre Verkleidung erregend fanden, wie auch Männer, die sich zu Männern hingezogen fühlten. Kikunojō, mit seiner heimlichen Affäre, war Teil einer Tradition.
    »Der Shōgun kann tun, was ihm gefällt, sogar mit den Frauen und Töchtern seiner Minister«, fuhr Kikunojō fort. »Aber wir gewöhnlichen Ehebrecher werden bestraft – wenn nicht von wütenden Gatten, dann von den Behörden. Wie denkt Ihr darüber, yoriki?«
    Wieder hatte Sano den Eindruck, als würde Kikunojō versuchen, das Gespräch in andere Bahnen zu lenken. »Je höher der Rang, desto größer die Privilegien, Kikunojō -san. Also, was ist nun mit Noriyoshi?«
    Kikunojō warf Sano einen raschen Blick zu, aus dem widerwillige Bewunderung sprach. »Noriyoshi hat Geld von mir gefordert«, sagte er. »Immer größere Summen. Er hat mich in den Ruin getrieben. Aber dann, vor ungefähr einem Monat, kam mir ein Gedanke. Wer würde Noriyoshi glauben, falls er die Geschichte über meine Affäre ausplaudert? Dann stünde sein Wort gegen das meine – und wer war Noriyoshi denn schon? Also bin ich das Risiko eingegangen. Ich habe ihm gesagt, daß ich ihm nichts mehr zahlen würde, und ich habe ihm auch den Grund dafür genannt.« Kikunojō nahm einen weißen Hochzeitskimono und einen roten Unterkimono vom Kleiderständer und legte beides auf ein viereckiges Tuch; dann legte er frische Strümpfe, ein purpurnes Kopftuch, die schwarze Perücke, die er abgenommen hatte, und einige Schminkdosen hinzu. »Ich hätte es schon vor langer Zeit tun sollen. Denn wie ich es nicht anders erwartet hatte, hielt Noriyoshi den Mund und hat nie mehr Geld von mir verlangt.«
    Falls Kikunojō seinem Erpresser tatsächlich nichts mehr gezahlt hat, woher stammte dann das Geld, das ich in Noriyoshis Zimmer gefunden habe? fragte sich Sano. Plötzlich sah er die Möglichkeit, sich Kikunojōs anfängliche Bemerkung zunutze zu machen.
    »Angenommen, die Gerüchte stimmen, und Noriyoshi wurde ermordet«, sagte er. »Könntet Ihr beweisen, daß Ihr Euch woanders aufgehalten habt, als der Mord begangen wurde?«
    Kikunojō lachte, während er die Enden des Tuchs verknotete, in das er seine Habseligkeiten eingewickelt hatte. »Guter Mann, selbst wenn ich den Wunsch gehabt hätte, Noriyoshi zu töten – mir hätte die Zeit dafür gefehlt. An dem Abend, als er gestorben ist, war ich auf einer Probe, die bis weit nach Mitternacht gedauert hat. Übrigens ist morgen die Erstaufführung dieses Stückes. Und nach der Probe« – sein Lächeln ähnelte auf gespenstische Weise dem der reizenden Prinzessin Taema – »war ich bei meiner Dame.«
    »Könnte sie das bestätigen?«
    Der onnagata bedachte Sano mit einem bedauernden Blick. »Natürlich nicht. Habe ich noch nicht erwähnt, daß sie verheiratet ist? Und macht Euch gar nicht erst die Mühe, mich nach ihrem Namen zu fragen, denn ich sage ihn Euch nicht.«
    Sano biß in hilflosem Zorn die Zähne zusammen. Den Leuten bei inoffiziellen Nachforschungen in einem Mordfall Informationen zu entlocken erwies sich als wahre Tortur. Sano hatte keine rechtliche Handhabe, einen Befragten zur Aussage zu zwingen, und falls er illegale Methoden anwendete, würde dies zweifellos Magistrat Ogyūs Aufmerksamkeit erregen.
    »Habt Ihr sonst noch Fragen?« wollte Kikunojō wissen.
    »Eine. Wart Ihr mit Yukiko bekannt, der Tochter des Fürsten Niu?«
    Wenngleich Sano aufmerksam das Gesicht des Schauspielers beobachtete, entdeckte er nicht den kleinsten Hinweis auf Unsicherheit, nur leichtes Erstaunen über eine offenkundig irrelevante Frage.
    »Yukiko«, sagte Kikunojō und zog nachdenklich die Stirn kraus. »Ja, ich habe sie einmal getroffen. Die Familie Niu geht oft ins Theater.«
    Falls der Schauspieler Yukiko und Noriyoshi tatsächlich ermordet hatte, konnte dieses Eingeständnis der gerissene Versuch sein, anzudeuten, daß er nichts zu verbergen habe. Zudem mußte Kikunojō damit rechnen, daß Sano längst erfahren hatte, daß die Nius leidenschaftliche Liebhaber des Kabuki-Theaters waren, und daß eine Lüge deshalb den Verdacht des yoriki erregt

Weitere Kostenlose Bücher