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Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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Untersuchungen fortführen und erteilt mir die Erlaubnis, die Nius aufzusuchen. Ich möchte ihnen erklären, weshalb weitere Nachforschungen notwendig sind. Der Mörder läuft frei herum. Er ist eine Gefahr für die Allgemeinheit. Als yoriki betrachte ich es als meine Pflicht, ihn festzunehmen, bevor er weiteren Menschen Leid zufügen kann. Und als Magistrat ist es auch Eure Pflicht«, fügte er wagemutig hinzu.
    Von qualvoller Spannung erfüllt, wartete er auf Ogyūs Antwort. Dem Appell an seine Pflichten konnte der Magistrat – ebenfalls ein Samurai und somit dem strengen Kodex des Bushidō unterworfen – sich nicht entziehen.
    Doch statt auf Sanos leidenschaftliche Rede zu antworten, wechselte Ogyū das Thema. »Zu meinem Bedauern habe ich erfahren, daß es Eurem Vater nicht gutgeht«, sagte er.
    Die auf den ersten Blick höfliche Bemerkung traf Sano wie ein Schlag in den Magen. Heiße Wut stieg in ihm auf; das Blut rauschte ihm in den Ohren, und sein Blick trübte sich. Wie konnte Ogyū es wagen, die Sohnespflichten mit voller Absicht auf so bösartige Weise ins Spiel zu bringen! Sprachlos vor Zorn, mühte sich Sano, die Beherrschung zu wahren.
    Durch den Wirrwarr von Gedanken, die ihm durch den Kopf schossen, vernahm er Ogyūs gelassene Stimme, als er unerbittlich fortfuhr: »Ein Mann in seinem Alter hat es verdient, den Ruhestand zu genießen, und ihm gebührt die Achtung aller Menschen, die ihm nahestehen. Es wäre höchst bedauerlich, wenn die Krankheit Eures Vaters sich verschlimmert, weil Schande über seine Familie gekommen ist.«
    Wie ein Schwall eiskalten Wassers spülte eine Woge des Entsetzens Sanos Zorn hinweg. Ogyū drohte ihm mit Entlassung aus dem Amt! Um seines Vaters willen durfte Sano dies um keinen Preis geschehen lassen. Er mußte seine Nachforschungen einstellen. Doch Sano wollte nicht aufgeben, ohne eine allerletzte Bitte zu stellen.
    »Magistrat Ogyū …«, begann er.
    Ogyū ließ sich von seinem Diener noch einmal Tee einschenken. Diesmal bot er Sano keine Schale an – ein Zeichen, daß der Magistrat das Gespräch als beendet betrachtete. Widerstrebend erhob sich Sano und verbeugte sich. Zitternd und auf wackligen Beinen ging er durchs Zimmer.
    »Yoriki Sano?«
    Die Hand an der Türgriffmulde, wandte Sano sich um.
    »Darf ich noch heute morgen mit Eurem Abschlußbericht über den shinjū rechnen?« fragte Ogyū freundlich. »Heute nachmittag treffe ich Fürstin Niu auf Yukikos Totenfeier. Ich möchte ihr gern mitteilen, daß der Fall abgeschlossen ist.«
    Sano verbeugte sich noch einmal, schob die Tür auf und verließ wortlos das Zimmer. Sollte Ogyū sein Schweigen deuten, wie er wollte!
9.
    D
    en Blick starr nach vorn gerichtet, eilte Sano über die Straßen zur Polizeizentrale und zum ruhigen Hafen seines eigenen Zimmers. Passanten kamen ihm entgegen; Sano mied ihre Blicke. Schon der Gedanke war ihm zuwider, mit irgend jemandem zu reden oder auf seine Schreibstube zu gehen, wo er Tsunehiko und seine anderen Mitarbeiter antreffen würde. Jetzt, da er noch immer vor hilfloser Wut am ganzen Körper zitterte, stand ihm nicht der Sinn danach. Er mußte allein sein, um seine Gefühle und Gedanken wieder in den Griff zu bekommen.
    »Guten Morgen, yoriki Sano -san «, rief jemand.
    Sano eilte weiter, ohne den Gruß zu erwidern, und erreichte schließlich die Polizeizentrale. Doch als er in die Kasernen gelangte, sah er Bodenmatten und Bettzeug an den Geländern der Veranden hängen. Er hörte Frauenstimmen. Sämtliche Türen standen offen, und in seinem Zimmer schrubbte ein Hausmädchen den Fußboden. Sano schüttelte den Kopf. Er hatte vollkommen vergessen, daß die Kasernen am heutigen Tag, zu dieser Stunde, gründlich sauber gemacht wurden, wie jede Woche. Zu Sanos Zorn gesellten sich Hilflosigkeit und Ratlosigkeit. Er stürmte in den Garten hinter dem Kasernengebäude. Zu seiner Erleichterung hielt sich niemand dort auf.
    Doch die Ungestörtheit brachte ihm keinen Frieden. Der Zorn auf Magistrat Ogyū schwelte weiter. Sano sah sich um, erblickte einen faustgroßen Stein zu seinen Füßen, hob ihn auf und schleuderte ihn in den Teich.
    Mit einem lauten Klatschen traf der Stein auf die Wasseroberfläche. Sofort fühlte Sano sich besser. Kopfschüttelnd kicherte er vor sich hin. Was für ein kindisches Verhalten! Wie damals, wenn einer seiner Schüler einen Wutanfall bekommen hatte. Sano kauerte sich am Ufer des Teichs nieder, betrachtete die Fichtennadeln, die auf den sanften Wellen

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