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Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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großmütterlich aussehende Matrone.
    Großmutter schoß nach vorn, stellte sich auf die Zehenspitzen und berührte rasch Kikunojōs purpurnes Kopftuch. Ihr faltiges Gesicht strahlte vor Glückseligkeit ob ihres Wagemuts, als sie zurück an ihren Platz eilte. Die anderen Frauen kicherten.
    Sano grinste. Die Regierung hatte versucht, die sexuelle Anziehungskraft der onnagata zu mindern, indem sie von ihnen verlangte, sich den Scheitel kahlscheren zu lassen. Doch für viele Frauen waren die Kopftücher nicht minder erotisch wie dichtes Haupthaar.
    Sano wartete, bis die letzte Bewunderin des Schauspielers gegangen war; dann stellte er sich vor. »Kikunojō -san, darf ich ein Wort unter vier Augen mit Euch sprechen?«
    Kikunojō zog einen seidenen Fächer aus den Falten seines Gewandes, bedeckte damit die untere Hälfte seines Gesichts, fächelte sich affektiert Luft zu und murmelte: »Ehrenwerter Meister … meine Pflichten … meine Engagements … ich muß schon bald zu meinem nächsten Auftritt … vergebt mir, aber ich habe jetzt wirklich keine Zeit … vielleicht ein andermal …?« Die Geste mit dem Fächer, seine hohe, liebliche Stimme, die Wortwahl und die Sprechweise waren eine perfekte Nachahmung einer adeligen Dame.
    »Es geht um Noriyoshi«, sagte Sano. »Wir können uns entweder hier unterhalten, in aller Öffentlichkeit, oder woanders. Ihr habt die Wahl.« So eindrucksvoll die schauspielerische Leistung Kikunojōs auch war – Sano hatte nicht die Absicht, den Burschen so leicht davonkommen zu lassen.
    Ganz kurz weiteten sich Kikunojōs Augen; dann senkte er die Lider, nickte geziert und sagte, den Fächer vor dem Mund: »Kommt mit mir.«
    Sano folgte Kikunojōs würdevoller Gestalt durch eine Tür in der Nähe der Bühne, dann einen schummrigen Flur hinunter bis zur Garderobe des onnagata. Die beiden Männer ließen ihre Sandalen vor dem Türeingang stehen, der sich hinter einem Vorhang befand. Belustigt stellte Sano fest, daß Kikunojōs Füße größer waren als die seinen.
    Die Garderobe war winzig. Prächtige Kimonos hingen an Kleiderständern. Fünf Perücken, die auf hölzernen Köpfen saßen, beanspruchten das oberste Brett einer Regalwand; auf den unteren lagen Haarschmuck und anderer Zierrat, zusammengefaltete Unterkleidung und Sandalen. Der Ankleidetisch war mit Puderquasten, Pinseln und Schminktöpfchen übersät; seidene Halstücher hingen vor dem großen Spiegel. Auf einem Tisch lagen ähnliche Päckchen, wie Kikunojō sie vorhin auf der Bühne von seinen Verehrerinnen in Empfang genommen hatte. Hatte Yukiko auch dazu gezählt? Der Text des Abschiedsbriefes jedenfalls ließ darauf schließen, daß eine Verbindung zwischen ihr und dem Kabuki-Theater bestand, auch wenn Yukiko es nicht ausdrücklich geschrieben hatte. Außerdem hatte Fürstin Niu eine Bemerkung über den »schlechten Einfluß des Theaters auf junge Mädchen« gemacht.
    Kikunojō kniete sich vor den Schminktisch. Auch Sano kniete nieder; plötzlich war ihm die ganze Angelegenheit ein wenig peinlich. Echte onnagata wie Kikunojō schlüpften niemals vollständig aus ihrer weiblichen Scheinpersönlichkeit, nicht einmal hinter der Bühne. Sie behaupteten, ihre Rollen auf diese Weise überzeugender spielen zu können. Sano fragte sich, ob er bei dieser Scharade mitspielen sollte, indem er Kikunojō wie eine Frau anredete und behandelte. Nein, das würde er nicht fertigbringen. Schon der sehr männliche Schweißgeruch des Schauspielers, der in winzigen Zimmern wie diesem besonders aufdringlich wirkte, war ein zu deutlicher Hinweis auf sein wahres Geschlecht.
    Zu Sanos Erleichterung legte Kikunojō sein weibisches Gehabe ab. Entweder hatte er das Unbehagen seines Besuchers gespürt, oder er sah keine Veranlassung, seine Bemühungen an einen yoriki zu verschwenden.
    »Was immer Ihr zu sagen habt, sagt es schnell«, verlangte Kikunojō. Er warf den Fächer zur Seite, hob den Kopf und straffte seine gebeugte Gestalt. Doch seine Stimme blieb hoch und mädchenhaft, als hätte es ihn irgendwie verweiblicht, daß er seit Jahren als Frau auf der Bühne stand. »Ich habe heute nachmittag noch eine Vorstellung und muß vorher einige sehr wichtige geschäftliche Dinge erledigen.«
    »Zum Beispiel jemanden wie Noriyoshi bezahlen, damit er Eure Geheimnisse für sich behält?« fragte Sano in der Hoffnung, den Schauspieler zu überrumpeln.
    Doch Kikunojō zuckte nur die Achseln. »Ah«, sagte er. »Ihr wißt also schon, daß Noriyoshi mich erpreßt

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