Der Kirschbluetenmord
hat. Ich hoffe, es stört Euch nicht, wenn ich mich umziehe. Ich bin ziemlich in Eile.«
»Es stört mich überhaupt nicht.« Fasziniert beobachtete Sano, wie Kikunojō das Kopftuch abnahm, so daß sein kahler Scheitel zum Vorschein kam. Der Schauspieler löste ein kompliziertes System aus Nadeln und Knoten, mit dem die lange schwarze Perücke an seinem echten Haar befestigt war, das er an den Seiten nach hinten gekämmt und im Nacken zu einem kunstvollen Knoten zusammengebunden hatte. Dann nahm er ein Tuch, tauchte es in einen Topf mit Öl und wischte sich die Schminke aus dem Gesicht. In einer verblüffenden Verwandlung wurde aus der wunderschönen jungen Prinzessin Taema ein Mann mit einem regelmäßigen, aber nicht sonderlich bemerkenswerten Gesicht, der die Dreißig bereits weit überschritten hatte.
»Tja, jetzt wird Noriyoshi mir keine Schwierigkeiten mehr machen«, fuhr Kikunojō fort, »oder jemand anderem. Er ist tot, und ich kann nicht behaupten, daß es mir leid tut. Dieser miese kleine Schuft!«
Du wärst bestimmt nicht so freimütig mit deinen Äußerungen, wenn du wüßtest, daß du unter Mordverdacht stehst, dachte Sano, denn du hast soeben zugegeben, daß Noriyoshi dir irgendwelche Schwierigkeiten gemacht hat.
»Womit hat er Euch erpreßt?«
Kikunojō erhob sich, band seine Schärpe los und zog seine Über- und Unterkimonos aus. Darunter trug er Baumwollpolster, die er sich auf der Brust, an den Hüften und am Gesäß festgeschnallt hatte. Als er die Polster ablegte, kam ein schlanker, aber erstaunlich muskulöser Körper zum Vorschein. Sano erkannte, daß der onnagata durchaus die Kraft besaß, Yukiko und Noriyoshi zu töten und ihre Leichen in den Fluß zu werfen.
»Man erzählt sich da eine seltsame Geschichte«, sagte Kikunojō. »Die Leute munkeln, daß Noriyoshi in Wirklichkeit gar keinen Selbstmord begangen hat, sondern ermordet wurde. Habt Ihr auch schon davon gehört?«
»Kann sein.« Sano erkannte, daß Wisterie die Mordversion offenbar sehr schnell verbreitet hatte. Dennoch mußte er zugeben, daß Kikunojōs Trick ausgesprochen clever war: Durch seine beiläufige Bemerkung war der Schauspieler dem yoriki zuvorgekommen und hatte vermieden, die Frage beantworten zu müssen, ob Noriyoshi einem Mord zum Opfer gefallen sein könnte. Ein so rasches Denkvermögen ließ einen Mann erkennen, der intelligent genug war, einen ausgeklügelten Mordplan zu schmieden und in die Tat umzusetzen.
Doch Sano fiel nicht auf Kikunojōs Trick herein. »Womit hat Noriyoshi Euch erpreßt?« wiederholte er seine Frage.
Der Schauspieler nahm einen schwarzen, mit goldenen Wagenrädern und blauem Wellenmuster verzierten Männer-Seidenkimono vom Kleiderständer, streifte ihn über einen blauen Unterkimono und verschnürte ihn vorn mit einer schlichten schwarzen Schärpe. »Ich glaube kaum, daß Euch das etwas angeht«, sagte er.
Mit vorgetäuschtem Interesse blickte er zur Tür. Durch einen Spalt im Vorhang war ein Teil der Bühne zu sehen. Für jene Zuschauer, die das Theater gar nicht erst verlassen hatten, wurde die Pause durch ein Unterhaltungsprogramm überbrückt. Ein als Samurai gekleideter Schauspieler führte den yariodori auf, einen komischen Tanz, mit dem er sich über die Gefolgsleute der Daimyō lustig machte. Er bewegte seine federgeschmückte Kriegslanze wie eine Frau ihren Besen beim Frühjahrsputz. Die Lacher aus dem Publikum kamen vornehmlich von den gemeinen Bürgern, während die Samurai zischten, pfiffen und Buhrufe von sich gaben.
»Falls Noriyoshi ermordet wurde, geht es mich sehr wohl etwas an«, erwiderte Sano.
Kikunojō stieß ein indigniertes Seufzen aus, während er einen schwarzen Umhang über seinen Kimono streifte. »Ich habe ihn nicht getötet, falls Ihr gekommen seid, um das herauszufinden.« Als Sano nichts erwiderte, fuhr der Schauspieler fort: »Ja, ich gebe zu, daß Noriyoshi dahintergekommen ist, daß ich eine Liaison mit einer verheirateten Dame habe. Würde ihr Gatte das herausfinden, würde er uns beide töten. Ihr wißt ja, wie das ist.«
Sano nickte. Das Kabuki-Theater war etwa hundert Jahre zuvor von einer Shintō-Priesterin aus dem Izumo-Heiligtum gegründet worden. Doch schon bald hatte das Theater den Bezug zur Religion verloren. Die Rollen wurden von Kurtisanen übernommen, und ihre schlüpfrigen Aufführungen überschritten die Grenzen der Schicklichkeit. Männliche Bewunderer rissen sich um die Gunst dieser Damen, was häufig zu öffentlichen Ärgernissen
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