Der Kirschbluetenmord
darbringt.
Fürstin Niu beobachtete das Gesicht ihres Sohnes und suchte nach Anzeichen dafür, daß die Behandlung die üblen Dünste vertrieb, welche seine Schmerzen hervorriefen. Sie mußte noch vieles mit ihm bereden, doch sie wollte das Gespräch erst beginnen, wenn die Erleichterung von den Schmerzen ihn zugänglicher für Ratschläge machte. Die Kegel schwelten; der Rauch wurde fetter. Schließlich entspannte sich Masahitos Gesicht – ob es auf die Wirkung der Moxe zurückzuführen war oder ob der Schmerz ihn ablenkte, den die glimmenden Kegel ihm bereiteten, konnte die Fürstin nicht erkennen.
»Für unsere Familie ist eine schwere Zeit angebrochen, Masahito«, sagte Fürstin Niu. »Sie verlangt von uns allen, daß wir uns diskret verhalten. Sie verlangt sogar Opfer von uns.« Die Fürstin hielt inne. Sie hoffte, nicht fortfahren zu müssen. Denn wenn sie Masahito genau erklärte, was sie von ihm erwartete, mußte sie das Unaussprechliche in Worte kleiden. Das Undenkbare.
Masahito betrachtete sie schweigend; die hellen Augen loderten in seinem hübschen Gesicht. Ein schwaches, boshaftes Lächeln umspielte seine Lippen.
Mit stockender Stimme sagte sie: »Vielleicht … vielleicht wäre es besser für dich, wenn du auf gewisse … Aktivitäten verzichten würdest.« Ihr Geist schauderte vor dem Gedanken an diese Dinge zurück.
Masahitos Lächeln wurde noch breiter, blieb jedoch ohne Humor und Wärme. Er schüttelte den Kopf. »Ach, Mutter. Warum sagst du nicht wenigstens einmal im Leben, was du wirklich denkst?« erwiderte er. »Wir sind hier ganz unter uns. Also, heraus mit der Sprache. Sag mir, was du von mir verlangst.« Er verschränkte die Arme vor der Brust und wartete mit gespannter Aufmerksamkeit auf ihre Antwort. »Nun?«
Er verhöhnt mich, dachte Fürstin Niu verzweifelt. Er will mich nur quälen. Genauso, wie er damals seine Geschwister und Spielgefährten schikaniert hat. Ob sie größer oder kleiner, stärker oder schwächer gewesen waren als Masahito, hatte keine Rolle gespielt – stets beherrschte er sie; stets konnte er sie zum Weinen bringen oder bis zur Weißglut reizen. Die schiere Kraft seiner Persönlichkeit hatte die anderen Kinder davon abgehalten, sich zu wehren; statt dessen hatten sie sich nur um so mehr bemüht, es Masahito recht zu tun. Eine plötzliche, lebhafte Erinnerung stieg in ihr auf: Masahito im Alter von neun Jahren, wie er seine Schwestern, zwei seiner älteren Brüder und sämtliche Kinder der Gefolgsleute bei einer spielerischen, jedoch gewalttätigen Nachstellung der Schlacht von Dannoura aufeinander gehetzt hatte. Diese Schlacht hatte fünfhundert Jahre zuvor die segensreiche Herrschaft des Kaisers beendet und das Zeitalter der Militärregenten eingeleitet. Das »Spiel« Masahitos hatte mit der Zerstörung des Gartenpavillons und vielen Verletzungen geendet, einige davon schwer. Nur Yukiko hatte sich Masahito widersetzt und die Katastrophe zu verhindern versucht.
Fürstin Niu konnte sich noch heute an das Entsetzen erinnern, als sie ihren kleinen General erblickte, der sich genüßlich am Anblick des brennenden Pavillons und seiner schluchzenden, blutenden Truppen weidete.
»Warum, Masahito?« hatte sie geschrien. »Warum?«
Er hatte sie fest angeblickt, und unter den Schnittwunden und blauen Flecken strahlte sein Gesicht vor Triumph. »Ich wollte die Geschichte verändern, Mutter«, sagte er, »und das habe ich getan.« Masahito hatte kein bißchen Reue gezeigt, und der Fürstin war es eiskalt über den Rücken gelaufen. »Heute hat der Taira-Klan die Minamotos besiegt. Sag es Vater.«
Sag es Vater. Bei diesen drei Worten hatte die Fürstin den wahren Grund für Masahitos Tat erkannt. Ihren hitzigen, zornigen Sohn interessierte die Geschichte überhaupt nicht. Seit seiner Geburt hatte er die Liebe und Beachtung seines Vaters vermißt, und nun hatte er eine Bestrafung herausgefordert, weil eine Strafe immer noch besser war, als erst gar nicht zur Kenntnis genommen zu werden.
Da sie den geliebten Sohn nicht selbst bestrafen wollte, hatte Fürstin Niu ihren Zorn und Kummer verdrängt und Masahito zu ihrem Mann in die Provinz geschickt. Dort sollte er auf dem Landschloß beim Vater leben; denn Masahito war nun alt genug und tat sich trotz seiner Behinderung im Schwertkampf hervor, so daß die Fürstin hoffte, die beiden könnten wie Vater und Sohn miteinander umgehen. Vielleicht würde Masahito unter männlicher Führung zu einem ehrenhaften, aufrechten Mann
Weitere Kostenlose Bücher