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Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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zur Lösung des Mordfalles besaß – Sano durfte diese Möglichkeit nicht außer acht lassen.
    Es gab noch weitere Gründe, daß er den riskanten Versuch unternehmen wollte, mit dem Mädchen zu sprechen: Er konnte seine Schuld bei Wisterie begleichen und ihr – und sich selbst – beweisen, daß er nicht die Absicht hatte, Noriyoshi seines niederen gesellschaftlichen Ranges wegen Recht und Gerechtigkeit zu verweigern. Außerdem stellte sich ihm immer drängender die Frage, ob die Nius tatsächlich in die Morde verwickelt waren und Ogyū zum Narren hielten, indem sie den nichtsahnenden Magistraten dazu benutzten, ihr Verbrechen zu vertuschen. So wenig Sano seinen Vorgesetzten mochte: Ogyū stammte aus einer langen Ahnenreihe von Männern, die ihr Leben gegeben hätten, um ihre Herren zu schützen. Schon deshalb durfte er nicht zulassen, daß die Nius den Magistraten in irgendeine dunkle Geschichte hineinzogen, die sich zu einem Skandal ausweiten konnte. Sano mußte ein Lächeln unterdrücken: Zum ersten Mal deckten sich seine persönlichen Wünsche mit seinen beruflichen Pflichten.
    Er ließ den Blick über die Trauergäste schweifen, die vor ihm gingen, und hielt nach Midori Ausschau.
    Einige für ihn wichtige Personen hatte Sano bereits gesehen, als er sich vor dem Tempel unter die Trauergäste gemischt hatte: den jungen Fürsten Niu; Magistrat Ogyū, der in der Reihe der Männer stand, die nun den Leichenzug anführte; Fürstin Niu, die den Frauen voranschritt. Sie war ihrer gedrungenen, untersetzten Gestalt wegen leicht zu erkennen; die anderen Frauen hingegen waren in ihren weißen Kimonos und Hüten kaum voneinander zu unterscheiden. Sano fragte sich, wie er Midori finden konnte. Und falls er sie entdeckte – wann und wie konnte er allein mit ihr reden?
    Die Trauernden zogen unter dem Bogen eines Torii-Tores hindurch, stiegen eine steinerne Treppe an einer Böschung hinunter und blieben am Ufer des Flusses stehen. In der Mitte eines großen, von Bäumen gesäumten Platzes, unter einer strohgedeckten, von Säulen gestützten Überdachung, befand sich eine Mulde, in der ein Scheiterhaufen aufgeschichtet war. Daneben standen Tische mit Speisen und Getränken; aus Kohlebecken stieg duftender Rauch empor und vermischte sich mit dem Geruch von Weihrauch und der frischen Brise, die vom Fluß herüberwehte. Die Trauergäste nahmen um die Mulde herum Aufstellung. Als Bewegung in die Menge kam, nutzte Sano die Gelegenheit, sich weiter nach vorn zu begeben, in die Nähe der Frauen der Niu-Sippe, die sich am Rand der Mulde versammelt hatten.
    Die Träger stellten den Bambuskäfig ab, in dem sich die Vögel befanden, und öffneten ihn. Mit lautem Zwitschern, in einem Gestöber aus flatternden Flügeln, stiegen die Tiere himmelwärts. Ihr Flug symbolisierte die Befreiung der Seele vom irdischen Leben und ihren Aufstieg ins Reich des Geistes. Sano erblickte ein Mädchen, das wie Midori aussah. Als er versuchte, Augenkontakt mit ihr herzustellen, kam wieder Bewegung in die Menge. Sano, der von der Woge aus Leibern mitgespült wurde, fand sich in unmittelbarer Nähe Magistrat Ogyūs wieder. Hastig zog er sich zurück.
    Der Hohepriester stimmte ein Lied an, bei dem er von den Glöckchen und Trommeln begleitet wurde. Die Trauergäste lauschten schweigend. Sano, der von einer Gruppe Männer umschlossen war, stellte sich verstohlen auf die Zehenspitzen und tat so, als würde er den Priester beobachten; in Wahrheit ließ er den Blick über die Frauen der Nius schweifen. Er sah wieder jenes Mädchen, das er für Midori gehalten hatte; doch sie war es nicht. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als zu warten. Wider besseres Wissen hoffte er, daß die Totenfeier rasch enden würde.
    Nach mehr als einer Stunde stellten die Träger Yukikos Sarg auf den Scheiterhaufen, der in der Mulde aufgeschichtet war. Fürst Niu trat vor, eine Fackel in der Hand. Er zündete sie an einem der Kohlebecken an; dann warf er sie auf den Scheiterhaufen.
    Mit einem Geräusch, das sich wie ein lautes, entsetztes Keuchen anhörte, fing das Holz Feuer. Augenblicke später hüllten prasselnde, donnernde Flammen den Sarg ein. Schwarzer Rauch stieg von ihm auf. Nach kurzer Zeit waren Sarg und Leichentuch verbrannt, so daß Yukikos nackter Körper hinter dem Flammenschleier zu sehen war – klein und zart, saß sie aufrecht da. Ihr Kopf war kahlgeschoren. Die Hitze warf Blasen auf ihrer Haut, und die Flammen schwärzten ihr Fleisch. Ihr Gesicht wurde zu einer

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