Der Kirschbluetenmord
heranwachsen.
Doch Fürstin Nius Hoffnungen hatten sich zerschlagen. Ihr Mann hatte sich noch immer von seinem verkrüppelten Sohn abgestoßen gefühlt und ihn als Schande betrachtet. Er hatte nichts unternommen, um Masahito zu einem aufrechten Mann zu erziehen und einen anderen Menschen aus ihm zu machen. Ein treuer Diener berichtete, daß der Fürst seinen Sohn in einem abgelegenen Zimmer hatte einschließen lassen und daß Masahito in diesem Zimmer wie ein Tier im Käfig hause, allein, in Schmutz und Unrat, und daß er mit Küchenabfällen ernährt wurde. Krank von Schuldgefühlen, hatte die Fürstin ihren Sohn nach Edo zurückbringen lassen und tapfer darum gekämpft, sein ungezügeltes Temperament zu bändigen. Nie wieder wollte sie ihn der Grausamkeit seines Vaters aussetzen, ungeachtet der Ausschweifungen Masahitos, die mit jedem Jahr schlimmer wurden. Es gelang ihr, die Exzesse des Sohnes zu vertuschen, wenngleich der Preis, den sie dafür zahlen mußte, oft immens hoch war.
Nun flüsterte die Fürstin: »Bitte, Masahito.« All ihre Liebe, all ihr Geld, all ihre Intrigen konnten ihn diesmal nicht retten, falls er sich nicht selbst half.
»Du möchtest also, Mutter, daß ich auf meine Vergnügungen verzichte und meine Pläne aufgebe, weil Yukiko tot ist und die Polizei herumschnüffelt? Du glaubst, man könnte gewisse Dinge über mich erfahren, obwohl nicht zu beweisen wäre, daß ich jemanden ermordet habe.«
»Masahito …«
Seine zynische Stimme peitschte erbarmungslos auf sie ein. »Du möchtest, daß ich mich von unserem Sommersitz in Ueno fernhalte! Du möchtest, daß ich …«
»Hör auf!« kreischte Fürstin Niu und schlug die Hand vor den Mund, um weitere Schreie zu ersticken. Wie sehr sie ihn haßte, wenn er sie so quälte wie jetzt! Und wie sehr sie ihn liebte. Wenn sich boshafte Verschmitztheit auf Masahitos Gesicht spiegelte, so wie jetzt, kam es ihr noch schöner, noch strahlender vor, als wenn er sanfter Stimmung war. In Situationen wie dieser wünschte sie sich, ihren Sohn nicht so tief zu lieben. Dann hätte sie auch ihm gegenüber ihre eiserne Selbstbeherrschung wahren können, wie bei jedem anderen Menschen. Sie betete darum, sich Masahito nicht so nahe zu fühlen und Ruhe und Abstand zu finden. Denn nur wenn sie ihre Gefühle für den Sohn hintanstellte, konnte sie Masahito ihrem starken Willen unterwerfen. Doch diesen starken Willen besaß auch er; sie hatte ihn Masahito vererbt …
Plötzlich wurde Masahito zugänglicher. Er streichelte ihre Wange mit dem Handrücken und sagte sanft: »Du machst dir zu viele Sorgen, Mutter. Es gibt keinen Grund, sich zu fürchten. Wenn die Polizei sich mit Yukikos Vergangenheit beschäftigt, wird sie mehr als genug Verdächtige finden. Den Schauspieler, den sie bewundert hat. Oder die Freier, deren Heiratsanträge abgewiesen wurden. Und überhaupt – jetzt, wo Noriyoshi tot ist, besteht keine Gefahr mehr. Im Gegenteil: Bald wird unser Leben schöner sein, als du es dir je erträumt hast. Glaube mir.«
Fürstin Niu genoß Masahitos seltene Geste der Zuneigung. Fest nahm sie seine Hände in die ihren. Sie wollte ihn anflehen, seine gefährlichen Aktivitäten einzustellen – ihr zuliebe, nicht um seinetwillen; denn die Angst um den Sohn zerriß ihr das Herz. Doch sie wußte, daß Masahito mit wildem Zorn reagieren würde, sollte sie versuchen, sich einzumischen. Er würde sie aufs neue quälen.
Deshalb sagte sie nur: »Der Besuch Sano Ichirōs hat mir Sorgen gemacht. Ich habe ihn empfangen, weil ich den yoriki kennenlernen wollte, der sich von Amts wegen mit Yukikos Tod beschäftigt. Aber jetzt bedauere ich es, mit ihm gesprochen zu haben. Er ist ein scharfsinniger und hartnäckiger Mann, der eigene Wege geht. Du hättest nicht so zu ihm reden sollen, als er bei uns war. Dadurch hast du nur sein Interesse geweckt. Wer weiß, was er alles entdeckt, falls er weiter in unseren Privatangelegenheiten herumschnüffelt.«
»Sano? Wer ist dieser Sano Ichirō überhaupt? Eine unbedeutende Kreatur! Ein Niemand, der es nicht wert ist, auch nur einen Gedanken an ihn zu verschwenden.«
Masahito löste die Hände aus denen der Mutter und brach in ein schrilles Lachen aus. Er war in die hochfliegende, wahnwitzige Stimmung verfallen, die Fürstin Niu am meisten fürchtete. In seinen hellen Augen loderte es auf; sein Körper schien schiere Kraft auszustrahlen wie einen Schwall glutheißer Luft. Die Fürstin erkannte, daß Masahito keine Vorsicht walten lassen
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