Der Kirschbluetenmord
und keine Rücksicht auf seine Verletzlichkeit nehmen würde. Er würde den Tod herausfordern, wie er damals, als Junge, eine Bestrafung herausgefordert hatte. Er würde sich quälenden Schmerzen und schrecklicher Furcht unterwerfen – und würde sich nur davon erholen, um wieder neue Qualen zu suchen.
»Ich habe bereits Schritte unternommen, uns diesen yoriki vom Leibe zu halten«, sagte Fürstin Niu und versuchte, Ruhe zu bewahren, die aufsteigende Panik niederzukämpfen. Was war, wenn Masahito sterben mußte? Ohne ihn war ihr Leben sinnlos und leer. »Magistrat Ogyū hat sich einverstanden erklärt, Sanos Einmischungen zu unterbinden. Aber es gibt bestimmte Grenzen für meine Einflußnahme. Ich möchte nicht dadurch Verdacht erregen, daß ich zu viele Gefälligkeiten erbitte. Zumal es gar nicht erforderlich ist. Denn es wäre ein leichtes für dich, im Hintergrund zu bleiben.« Sie versuchte, den flehentlichen Beiklang aus ihrer Stimme fernzuhalten; sie wußte, daß es ihr nur Sticheleien eintragen würde, falls Masahito es bemerkte. »Halte dich zurück. Nur eine Zeitlang. Bitte.«
Masahito seufzte. »Ich brauche deinen Schutz nicht, Mutter. Ich weiß, was ich tue, und ich kann auf mich selbst aufpassen. Falls dieser yoriki Sano sich weiterhin als Problem erweist …«
Er nahm einen glimmenden Moxe-Kegel von seinem Oberschenkel. Ohne den Protestschrei seiner Mutter zu beachten, zerdrückte er ihn zwischen den Fingern. Wieder lachte er, als der Kegel zu Asche zerfiel, die langsam zu Boden schwebte und dabei dünne Rauchfäden hinter sich her zog.
12.
N
iu Yukikos Leichenzug bewegte sich durch die Straßen Edos langsam nach Osten, vom Zōjōji-Tempel in Richtung Fluß.
Vorneweg gingen die schwarzgekleideten Samurai, lange Stöcke in den Händen, an denen weiße Laternen hingen. Ihnen folgten Männer, die Sträuße aus heiligem Lotos trugen, der aus goldenem Papier gefertigt war. Dann kam der Hohepriester in seinem prunkvollen Umhang aus Seide; er wurde von Priestern in orangefarbenen Roben in einer Sänfte getragen. Weitere Priester folgten; sie schwenkten Weihrauchbrenner, klingelten mit Glöckchen, schlugen auf Trommeln und streuten Lotosblüten auf den Boden. Hinter ihnen schritt Fürst Niu. Er trug das Totenfeier-Tablett. Seine Schritte waren steif, seine Miene düster. Dann kam der Sarg: ein kleines weißes Haus mit Ziegeldach. Auf den schwarzen Roben der Sargträger war die Libelle abgebildet, das Wappentier der Nius. Andere Träger folgten mit einem großen Bambuskäfig voller zwitschernder Vögel; hinter ihnen schritt eine Gruppe weiterer Priester, die mit dumpfer Stimme Sutras murmelten. Den Priestern folgte die Familie mit ihren Gefolgsleuten und Dienern; die Männer trugen Schwarz, die Frauen Weiß.
Zuletzt kam eine Heerschar weiterer Trauernder, nach ihrem Rang geordnet: Hunderte von Personen, die gekommen waren, der Tochter eines großen Daimyō die letzte Ehre zu erweisen.
Unter ihnen war Sano. Nachdem er Raikō verlassen hatte, war er in die Kasernen gegangen und hatte seine zeremonielle Kleidung angelegt: ein weißes Untergewand aus Seide, darüber einen schwarzen seidenen Kimono mit dem Familienwappen in Gold – vier ineinander verschlungene fliegende Kraniche – auf Rücken, Brust und Saum; dazu eine weite schwarze Hose und einen schwarzen haori mit wattierten Schultern. Seine Schwerter waren als Geste der Höflichkeit gegenüber der Toten mit schwarzem Tuch umwickelt. Sano hoffte, daß seine zeremonielle Kleidung ihn mit der Menge der Trauernden verschmelzen ließ, so daß er Fürstin Nius Aufmerksamkeit nicht erregte.
Nachdem die Fürstin Sano gewarnt und Ogyū ihn getadelt und ihm weitere Nachforschungen untersagt hatte, erfüllte ihn der Gedanke, den Nius noch einmal gegenüberzutreten, mit Furcht. Doch seit er herausgefunden hatte, daß irgendeine Verbindung zwischen Noriyoshi und den Nius bestanden haben mußte, wollte er um jeden Preis mit Yukikos Schwester Midori reden. Schließlich hatte das Mädchen behauptet, den Beweis für den Mord an ihrer Schwester zu besitzen, und dieser Beweis konnte Sano vielleicht auf die Spur des Erpressungsopfers und damit des Mörders führen. Als Lehrer hatte er indes die Erfahrung gemacht, daß Kinder und Halbwüchsige sich oft Märchen ausdachten; deshalb gemahnte ihn die Vorsicht, alles, was Midori sagte, mit einem gewissen Maß an Mißtrauen zu betrachten. Doch wie gering die Wahrscheinlichkeit auch sein mochte, daß Midori den Schlüssel
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