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Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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»Jedenfalls tut’s mir nicht leid. Und ich kenne mindestens einen, dem es noch viel weniger leid tut. Ich war nicht der einzige, den Noriyoshi erpreßt hat, und ich habe gehört, daß er von dem anderen Kerl eine Menge Geld bekommen hat.«
    »Meint Ihr Kikunojō, den Kabuki-Schauspieler?« fragte Sano.
    Der Ringer blickte ihn verdutzt an. »Was denn – der auch? Das wußte ich ja noch gar nicht. Nein, ich habe jemand anderen gemeint.«
    »Und wen?«
    »Den Angehörigen einer sehr mächtigen Familie«, antwortete Raikō. Zum ersten Mal blickte er verstohlen in die Runde und senkte die Stimme. »Ich weiß nicht, um welchen Angehörigen es sich handelt, und ich werde Euch den Namen des Klans nicht sagen, aber …«
    Er beugte sich vor und malte mit einem Eßstäbchen etwas auf den staubigen Fußboden. Das Bild, das allmählich erkennbar wurde, war bei weitem nicht so kunstvoll wie eines der Bilder Noriyoshis, doch Sano erkannte, was es darstellte.
    Es war eine Libelle, das Wappen des Niu-Klans. Hier war sie endlich – die Verbindung zwischen Noriyoshi und den Nius.

11.
    Z
    ögernd stand Fürstin Niu vor der Zimmertür ihres Sohnes, ein Tablett mit einem Kästchen aus Lack, Zündhölzern, einigen langen Holzspänen und einer Kerze aus Myrtenwachs in den Händen. Sie war begierig darauf, mit Masahito zu sprechen, fürchtete sich zugleich aber vor der Begegnung. Schließlich hielt sie sich das Tablett mit einer Hand an die Hüfte und klopfte an. Keine Antwort. Sie hörte nur den fernen Gesang aus der buddhistischen Familienkapelle, in der die Priester eine nächtliche Andacht bei Yukikos Leichnam hielten. Doch Fürstin Niu spürte Masahitos Anwesenheit, so, als könnte sie ihren Sohn durch die Fenster aus durchscheinendem Papier beobachten, die in die Wand eingelassen waren. Sie schob die Tür auf und trat ins Zimmer.
    Ein eisiger Windhauch fuhr ihr entgegen, und sie konnte einen entsetzten Ausruf nicht unterdrücken.
    Masahito kniete vor dem geöffneten Fenster, mit dem Rücken zu seiner Mutter. Wenngleich es im Zimmer so kalt war wie draußen im Garten, trug Masahito nur einen dünnen weißen Seidenkimono. Seine Füße waren nackt. Als die Fürstin durchs Zimmer ging und neben Masahito stehenblieb, sah sie den entrückten Ausdruck tiefer Meditation auf seinem Gesicht – die Augen halb geschlossen, die Lippen leicht geöffnet, schien er sich seines zitternden Körpers und der Frostbeulen, die sich auf seinen bloßen Armen gebildet hatten, gar nicht bewußt zu sein. Sein Zimmer spiegelte die Kargheit und den Verzicht auf Luxus wider, die ein Wesenszug Masahitos waren. Schmuckloser weißer Verputz bedeckte die Wände; abgenutzte tatami, deren Ränder mit schlichter schwarzer Baumwolle vernäht waren, lagen auf dem Fußboden. Die Fürstin wußte, daß Masahito ihr nicht erlauben würde, das Zimmer mit Möbeln auszustatten, die dem Luxus der anderen Räume im Haus entsprachen. Masahito schlief seit Jahren auf ein und demselben verschlissenen, fadenscheinigen Futon, und das Kohlebecken zündete er nur bei strengster Kälte an. Obwohl sein Vater zu den reichsten Männern des Landes zählte, lebte Masahito wie ein Mönch – so, als wollte er erkunden, wieviel Leid er zu ertragen vermochte. Aus Angst um die Gesundheit ihres Sohnes ging Fürstin Niu zum Fenster und schloß es.
    »Mutter!«
    Beim Klang seiner Stimme fuhr sie herum und hätte beinahe das Tablett fallen lassen. »Ich wollte dir noch eine Moxe-Anwendung geben, Masahito. Wir müssen uns beeilen; gleich beginnt Yukikos Totenfeier.« Die Fürstin und die anderen Frauen hatten sich für die Prozession zum Tempel bereits in ihre weißen Trauer-Kimonos gekleidet, doch Masahito mußte noch seine schwarzen Umhänge anlegen. »Du hättest das Fenster schließen sollen«, fügte die Fürstin hinzu. »Bei diesem Durchzug holst du dir eine Erkältung.«
    Masahito betrachtete sie mit einem Blick, der so frostig war wie der Raum. »Ich habe dir gesagt, du sollst mein Zimmer nie ohne meine Erlaubnis betreten, Mutter.«
    Seine schroffe Bemerkung versetzte Fürstin Niu einen Stich ins Herz. Masahito – ihr kostbarer, einziger Sohn – war erst nach langen Jahren des Hoffens und Betens um ein Kind geboren worden. Sie liebte ihn mehr, als sie je einen Menschen geliebt hatte; sein Leben lang hatte sie ihn mit Geschenken, Zuneigung und Aufmerksamkeit überhäuft. Doch meist vergalt Masahito es ihr mit Feindseligkeit. Die Fürstin hatte die Diener flüstern hören, daß sie ihren

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