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Der Klabautermann

Der Klabautermann

Titel: Der Klabautermann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Schwengler, noch erhitzt vom Fönen beim Friseur, wurde es noch heißer. »Du sitzt da, ich sitze hier – was sollen denn die Leute denken? Und warum überhaupt?«
    »Die Leute gehen mich einen Dreck an«, sagte Dr. Schwengler in bester Männermanier. »Und warum? Beruflich.«
    »Weil du Zahnarzt bist, mußt du plötzlich an einem Einzeltisch sitzen?«
    »Allein an einem Zweiertisch.«
    »Mein Gott, ja! Fühlst du dich krank, Hans-Jakob?«
    Dr. Schwengler zog seine dunkelblaue Jacke an und betrachtete sich noch einmal im großen Wandspiegel. Hinter sich sah er Selma auf der Bettkante hocken, mit besorgtem und doch wütendem Blick.
    »Ich könnte dir alles erklären … aber ich darf es nicht«, sagte er.
    »Ach! Herr Dr. Schwengler steht unter Zwang!« Das klang mehr als ironisch, das war der Beginn eines Angriffs.
    »Nein. Aber ich habe mein Ehrenwort gegeben. Nur soviel: Es handelt sich um den Klabautermann.«
    »Der Zahnschmerzen hat und an den Tisch B 14 kommt.«
    »Selma, laß diesen dämlichen Spott!« Schwengler blickte auf die Uhr. »Es wird Zeit zum Essen.«
    »Dann geh! Geh an deinen Tisch B 14. Glaubst du, ich setze mich allein an unseren Platz und laß mich von den anderen begaffen? Was ist da los? Warum sitzt Dr. Schwengler plötzlich allein? Sind sie auseinander? Was ist da vorgefallen? Soll ich Spießrutenlaufen? O nein, ich lasse mir das Essen hier auf die Kabine bringen. Du setzt dich an B 14 und ohne Erklärung! Servierst mir so etwas Dämliches wie den Klabautermann! Und diese Frechheit soll ich einfach schlucken? Ehrenwort! An wen Ehrenwort? Dein Benehmen ist …«
    »Mein Ehrenwort habe ich Kapitän Hellersen gegeben. Zufrieden?«
    »Dem Kapitän …?« sagte Selma gedehnt. Sie wurde unsicher. »Und du mußt deshalb allein an Tisch B 14 sitzen?«
    »Ich muß nicht, ich will! Ich habe eine Aufgabe übernommen. Du lieber Himmel, genügt dir das noch immer nicht? Du wirst doch wohl einen Abend allein essen können.«
    »Nur einen Abend … ach so. Ich dachte …«, sagte sie plötzlich kleinlaut.
    »Was dachtest du?«
    »Von heute ab immer …«
    »Ja, hältst du mich denn für verrückt?«
    Es war klug, daß Selma darauf keine ehrliche Antwort gab. Ja, hätte sie sagen können. Bis vorhin habe ich gedacht, irgend etwas sei in deinem Kopf nicht mehr in Ordnung. Mit 72 Jahren kann so etwas vorkommen. Plötzlich wird das Gehirn nicht mehr voll durchblutet, einige Funktionen setzen aus; im Volksmund nennt man das Verkalkung. Statt dessen sagte sie:
    »Das hättest du mir gleich anders erklären können und nicht einfach sagen: Ich esse heute allein …«
    »Heute! Darauf kommt es an. Heute!«
    »Immer diese Wortklaubereien.« Es war gut, daß Selma sich in ein Beleidigtsein flüchten konnte; man brauchte sich dann nicht zu entschuldigen.
    Gemeinsam betraten sie das Restaurant – und trennten sich. Etwas unsicher, alle Blicke in ihre Umgebung vermeidend, setzte sich Selma an den gewohnten Platz, während Dr. Schwengler zielsicher auf Tisch B 14 zustrebte. Der zuständige Steward war bereits unterrichtet und begrüßte ihn wie einen alten Gast.
    Zufrieden nahm Dr. Schwengler Platz und gab zur Begrüßung ein angedeutetes Nicken zu Tisch B 15 hinüber.
    Der Nebentisch. An ihm saß das Ehepaar Fehrenwaldt.
    Generaldirektor und Konsul Fehrenwaldt, der Gesichtsverletzte, für dessen Gebiß sich Dr. Schwengler ungemein interessierte.
    Fehrenwaldt nickte ebenso kurz zurück und widmete sich dann mit sichtbarem Vergnügen der Weinkarte. Er gehörte zu jenen Menschen, die sich sehr wenig um ihre Mitbürger und Zeitgenossen kümmern. Wer um ihn herum war, das nahm er kaum wahr. So war auch Dr. Schwengler für ihn ein völlig Fremder, obwohl sie nun fast drei Wochen gemeinsam auf dem gleichen Schiff fuhren.
    Beim Studium der wie immer lukullisch phantastischen Speisekarte – jeden Mittag und Abend neu, nie die gleichen Gerichte – musterte Dr. Schwengler zwischendurch das Gesicht von Konsul Fehrenwaldt. Er sah es im Halbprofil; eine sehr gute Position.
    Eine hervorragende Operation, stellte Dr. Schwengler fest. Die Wiederherstellungsklinik mußte zu den berühmten in Deutschland gehören. Vielleicht München oder Düsseldorf, es konnte auch Zürich sein oder Paris, wenn man in die Nachbarschaft ging. Der Neukonstruktion des Gesichtes nach zu urteilen, mußte ein Granatsplitter quer durchs Gesicht gefahren sein und hatte es gewissermaßen wegrasiert. Davon sah man heute nur noch ein paar Narben … Schwengler

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