Der Klabautermann
verschwommen erkannte sie Karl, den Steward, und sah sein breit grinsendes Gesicht, in das sie jetzt hätte hineinschlagen mögen. Aber eine Dame tut das nicht.
Langsam, mit Mühe, erreichten sie den kleinen Vorflur; dort lehnte Frau Möller Beatrice fürsorglich gegen die Wand und stützte sie ab.
»Wohin darf ich dich bringen, Kindchen?« fragte sie.
»An die Luft …«, lallte Beatrice. »Frische Luft … nur Luft …«
»Dann fahren wir zum Promenadendeck.«
Frau Möller schob Beatrice in den Lift, drückte den Knopf, und vor dem Ausgang zum Deck faßte sie Beatrice fest unter die Achsel und schleppte sie ins Freie.
Die Nachtluft war köstlich. Ein leichter Wind wehte, der Sternenhimmel war wie immer von unfaßbarer Schönheit, das Meer lag still vor ihnen bis auf die Wellen, die vom Bug des Schiffes aufgewühlt wurden.
»Oh!« sagte Beatrice mit schwerer Zunge. »Luft kann man ja trinken …«
Sie hielt sich an der Reling fest, öffnete weit den Mund und saugte die Luft in sich hinein. Frau Möller hielt sie hinten am Kleid fest, damit sie sich nicht zu weit nach vorn beugte und das Gleichgewicht verlor.
»Und jetzt, Beatrice?« fragte Frau Möller, als sie merkte, daß die klare Luft auch einen klareren Kopf machte. »Wohin?«
»Zum Sonnendeck.«
»Aber Kindchen, was willst du denn da?«
»Schwimmen … nackt schwimmen … probieren, ob man auch mir den BH klaut …«
Frau Möller wurde einer Antwort enthoben.
Von einer Sekunde zur anderen wurden sie beide nüchtern, ihre Haut kräuselte sich vor Entsetzen. Sie fielen sich in die Arme und drückten sich eng aneinander.
Von irgendwoher, über ihnen, aus dem Dunkel, ertönte ein fürchterliches Lachen. Es war ein mißtöniger, kratziger Laut, der sich steigerte zu einem grellen, ins Mark fahrenden Ton. Ein Lachen, das Grauen verbreitete …
Kaum war das Lachen verstummt, fiel auch die Schreckenslähmung von ihnen. Frau Möller und Beatrice stürzten durch die Tür vom Promenadendeck in den Flur und rannten zum Lift. Die Tür stand noch offen; um diese Zeit fuhr kaum jemand durch das Schiff.
»Das war er …«, sagte Frau Möller mit erstaunlich fester Stimme. »Genau das! Das war sein Lachen … und mein BH war weg …«
Beatrice zog Frau Möller in den Lift, drückte auf Hauptdeck und rannte dort auf die Nachtwache hinter der Information zu. Dort saß ein Nachtsteward und las in einem Buch.
»Gib Alarm, Erich!« schrie Beatrice außer Atem. »Ruf die Brücke an! Der ›Blinde‹ ist an Deck. Wir haben ihn gehört. Er hat gelacht … fürchterlich gelacht …«
»Das hätte ich auch!« sagte die Nachtwache gemütlich. »Eine angeknackte Beatrice – so was sieht man nicht alle Tage.«
»Du Idiot!« Beatrice war außer sich. Sie langte über die Theke, und ehe es der Steward Erich verhindern konnte, hatte sie die Nummer der Brücke gewählt. »Auf dem Sportdeck, Mitte, Steuerbord!« schrie sie. »Ja, hier ist Beatrice. Ich habe ihn gehört … macht schnell … schnell … er muß noch an Deck sein … Nun fragt doch nicht soviel … Lauft los! Es war fürchterlich. So kann nur ein Irrer lachen …«
Fünf Minuten später durchsuchte ein Matrosentrupp alle Decks. Jeden Winkel, jeden Kasten, jedes Rettungsboot, jeden Raum an Deck.
Sie fanden nichts.
Dr. Schwengler hatte erst eine kleine Auseinandersetzung mit seiner Frau Selma, ehe er versuchen konnte, sich an Konsul Fehrenwaldt heranzupirschen.
Beim Umziehen zum Abendessen sagte er beiläufig zu ihr: »Wir werden heute abend getrennt essen. Ich suche mir einen anderen Tischplatz.«
Welche Frau würde darüber nicht in Staunen fallen, um es vorsichtig auszudrücken? So war auch Selmas Reaktion zunächst nur stummes Nichtverstehen. Bis dann ihre Frage kam:
»Was willst du?«
»Allein essen …«
»Ist dir was auf den Kopf gefallen?« Diese zweite Frage, etwas burschikos, klang schon schärfer. »Was redest du da für einen Unsinn?«
»Das ist kein Unsinn, sondern eine durchaus ernste Angelegenheit. Ich setze mich an den freien Zweiertisch B 14.«
»Wenn dir unser Tisch nicht mehr gefällt … bitte, setzen wir uns an den B 14. Wie du willst.«
»Ich habe gesagt: Allein.«
»Du hast gesagt: Ein Zweiertisch …«
»Einen Einzeltisch gibt es auf keinem Schiff.« Dr. Schwengler hatte seine Krawatte zu einem perfekten Windsorknoten geschlungen. »Ich sitze allein an dem Zweiertisch B 14.«
»Und ich?«
»Wie bisher …«
»Erklär mir das bitte. Das ist doch verrückt!« Selma
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