Der Klabautermann
fallen, streifte die Unterwäsche ab und lief nackt ins Bad unter die Dusche.
Der Klabautermann gab einen schmatzenden Laut von sich und klatschte in die Hände. Als Beatrice aus dem Bad zurückkam, in ein großes Badetuch gewickelt, saß er im Bett und strahlte sie aus seinen braunen Augen mit einem so liebevollen Blick an, daß es ihr warm ums Herz wurde.
Sie setzte sich auf die Polsterbank neben das Bullauge – hier unten bei den Mannschaften gab es keine großen Fenster wie in den Passagierkabinen –, schlug die Beine übereinander, raffte sittsam das aufklaffende Badetuch über ihre Schenkel und griff nach einer Zigarette.
»Nun erzählen Sie mal, woher Sie kommen«, sagte sie fröhlich, »und wohin Sie wollen. Sie haben ja das Schiff ganz schön auf Trab gehalten und zu den wildesten Vermutungen beigetragen. Daß wir einen ›Blinden‹ an Bord haben, war uns von Anfang an klar, aber Sie verstanden es fabelhaft, trotz aller Untaten unsichtbar zu bleiben.«
Der blinde Passagier schwieg. Er lachte nur verhalten, ein helles, kehliges Lachen, wie man es oft bei Eingeborenen hört in Afrika, in der Südsee oder eben hier im indonesischen Raum.
»Sie haben sicherlich Hunger«, sagte Beatrice und erwiderte das Lachen. »Ich mache Ihnen etwas zu essen, etwas ganz Leckeres.«
Worauf der blinde Passagier heftig in die Hände klatschte.
Nach dem Mittagessen hatte Kapitän Hellersen seine Offiziere zu einer Besprechung auf die Brücke gerufen. Das Schiff durchpflügte ruhig den fast glatten Ozean, Himmel und Meer vereinigten sich in einem strahlenden Blau. Ein Gottesgeschenk, dieser Tag.
Die versammelten Offiziere empfanden das gar nicht, im Gegenteil: Wenn der Alte sie zusammenrief, war immer dicke Luft. So schön konnte es draußen gar nicht sein, um drinnen eine frohe Stimmung aufkommen zu lassen.
Alle Offiziere auf die Brücke – dieses Kommando verhieß eine heiße Stunde.
Hellersen, wie immer korrekt mit weißer Mütze – was er auch von allen seinen Offizieren erwartete –, kam aus seiner Wohnung auf die Brücke und begrüßte die im Halbkreis aufgestellten Offiziere mit einem kurzen Nicken.
Er ging zu dem riesigen elektronischen Schaltpult, wo alle Funktionen des Schiffes zusammenliefen, lehnte sich dagegen und trommelte mit den Fingerspitzen gegen die Verkleidung. Jeder verstand dieses akustische Zeichen und machte sich innerlich auf ein Gewitter gefaßt.
»Meine Herren!« sagte Hellersen im dienstlichen Ton. »Heute abend findet wieder, wie Sie alle wissen, das Candlelight-Dinner statt. Da es meinen Offizieren und meiner Mannschaft offensichtlich nicht möglich ist, einen pathologischen blinden Passagier aufzustöbern, obwohl er überall auftritt, das Schiff terrorisiert und deutliche Spuren hinterläßt, möchte ich mich jetzt wenigstens darauf verlassen können, daß dieses Dinner ohne Zwischenfall verläuft! Ist das klar?«
»Ganz klar, Herr Kapitän«, antwortete der Leitende Erste Hartmann.
Hellersen sah seine Offiziere der Reihe nach an. Er blickte in bewegungslose Gesichter. »Was schlagen Sie vor?«
Hartmann antwortete wieder als Sprecher für seine Kameraden:
»Wir werden den Speisesaal, die Zugänge zum Speisesaal und die Türen zu den Decks besonders überwachen lassen. Auf allen Decks werden Patrouillen eingesetzt. An allen Liftstationen werden Matrosen stehen. Die Kabinengänge werden überwacht … Sollen wir die Passagiere davor warnen, nachts an Deck zu gehen?«
»Um Gottes willen!« Hellersen hob abwehrend beide Hände. »Das gäbe ja das vollkommene Chaos!« Und plötzlich war es da, das Gewitter, auf alle Häupter niederprasselnd. Hellersens Stimme schlug zu: »Ich setze voraus, daß es meiner Crew möglich ist, die Passagiere zu beschützen. Ist das denn zuviel verlangt, verdammt noch mal?!«
In diesem Augenblick betrat Beatrice die Brücke. Fröhlich. Lächelnd wie immer. Ein erfreulicher Anblick. Hellersen und Hartmann sahen sie mißmutig an.
»Sie scheinen die einzige der Mannschaft zu sein, die noch frohes Leben spielt«, sagte Hellersen bissig.
Ohne sich davon beeindrucken zu lassen, kam Beatrice auf den Kapitän zu und blieb in strammer Haltung vor ihm stehen. »Ich melde, Herr Kapitän: Bei mir in der Kabine sitzt der Klabautermann!«
»Beatrice, für solche Späße bin ich jetzt nicht aufgelegt.« Hellersens Stimme war wieder laut geworden. »Wollten Sie mir etwas Wichtiges mitteilen?«
»Jawohl, Herr Kapitän.« Beatrice behielt ihre stramme Haltung bei.
Weitere Kostenlose Bücher