Der Klang der Sehnsucht - Roman
führen wollten, was ein Mann nicht geschafft hatte. Nicht selten wurden Frauen angezündet, wenn sie zu viel Mut zeigten oder auch nur widersprachen. Von Männern, die gern allen Frauen eine Lektion erteilt hätten.
Der Vaid ging direkt ins Haus, um mit Maltis Eltern zu sprechen.
Malti saß meist im Freien und ließ ihren Blick über die Felder schweifen. Sie hörte die Stimmen, rührte sich aber nicht. Nachbarn kamen und gingen, es herrschte ein ständiger Strom von Stimmen, und jeder nahm ein Stück von ihrer Geschichte mit sich. Malti weigerte sich, mit irgendjemandem außer ihrer Familie zu sprechen.
Die Mutter hatte ihr Lieblingsgericht gekocht. Der Vater hatte ihr die Hand auf die Schulter gelegt. »Ich hätte merken sollen, dass er kein guter Mensch ist, Malti. Das habe ich weiß Gott nicht gewollt.« Er verließ das Zimmer, ehe sie antworten konnte. Sie hätte auch nicht gewusst was. Beide Eltern konnten Malti nicht in die Augen sehen.
»Malti …« Kalu sah verzweifelt aus, als hätten die Spuren ihres Leids sich auch in sein Gesicht gegraben. Er nahm ihre Hand und drückte sie fest. »Malti.«
Er roch nach Sandelholz. Die Anspannung in ihrer Brust ließ nach. Sie umarmte ihn für einen Moment und trat beiseite.
»Malti, es tut mir so leid.«
»Eigentlich sollte ich das sagen, Großauge.«
Als sie jetzt neben Kalu saß, wurde ihr klar, dass sie den Duft nach Sandelholz und den Klang seiner Flöte in sich spürte, seit ihr Mann sie mit Kerosin übergossen hatte. Bis zu diesem Moment. Sie schaute auf Kalus Hände und sah, dass die Fingerkuppen wund und rau waren, als hätte er Tag und Nacht gespielt.
»Du hast es gewusst?«
»Nein, ich wusste nur, dass irgendetwas nicht stimmte. Und mir wurde klar, dass ich dich sofort hätte fragen sollen, als ich es bemerkte. Das war, als ich dich das letzte Mal sah, an dem Tag, als …«
An dem Tag, als Bal starb, ergänzte sie in Gedanken.
»Malti, komm mit mir«, sprudelte es überstürzt aus ihm heraus. »Ich werde mich um dich und das Kind kümmern. Du brauchst dir keine Sorgen mehr zu machen.« Er merkte, wie Malti erstarrte.
»Kalu, du hast noch dein ganzes Leben vor dir. Du darfst dich nicht mit mir belasten.«
Kalu wandte sich ihr zu, aber er sah nicht die Frau in ihr, sondern das Mädchen, das sie einmal gewesen war. »Weißt du nicht, dass wir beide – du und ich – zusammengehören? Du hast mir das Gefühl gegeben, etwas Besonderes zu sein, als niemand sonst es tat. Jetzt kann ich dir helfen. Lass mich doch.«
Malti nestelte am Saum ihres Saris. Ihr Leben wäre leichter mit Kalus Hilfe. Er wäre in der Lage, für sie zu sorgen und ihrem Kind ein besseres Leben zu ermöglichen. Das Haus in den Bergen war, wie es sich anhörte, geräumig genug für weitere Menschen. Anscheinend war es sogar größer als Ganga Bas Villa. Obwohl ihr Kind dadurch viele Vorteile hätte, wusste sie doch, dass sie sich in einem so vornehmen Haus nie wohlfühlen würde. Sie fühlte sich ja schon bei Ganga Ba unbehaglich.
»Entschuldige, Kalu, aber ich muss es allein schaffen. Ich muss wissen, dass ich es allein schaffen kann.« Sie griff nach seiner Hand, als er vor ihr zurückwich. »Bitte, ich möchte dich nicht auch noch verlieren. Ich brauche dich. Aber ich kann nicht dein Leben führen. Ich muss selbst einen Platz für mich finden. So wie du es auch getan hast.«
»Gut«, sagte Kalu und wandte sich ab, »wie du willst.«
Sie hörte, wie das Brummen seines Motorrollers sich entfernte.
*
Erst spät am Abend kehrte Kalu zu Maltis Haus zurück, um Vaid Dada abzuholen. Er wartete draußen und schaute stur geradeaus, als Malti an die Tür kam. Sie drückte dem Vaid flüsternd ihren Dank aus, bevor sie im Inneren verschwand.
Kalu und der Vaid saßen im Zimmer ihrer Herberge. »Warum«, fragte er den Vaid mitten im Gespräch, »warum will Malti nicht mitkommen?«
Der ältere Mann musterte Kalu. Er hatte dunkle Ränder unter den Augen. Der Vaid wusste, dass Kalu in den letzten Tagen nichts gegessen hatte.
»Warum nimmt keiner meiner Freunde meine Hilfe an? Wenn Bal bei uns gewohnt hätte … und jetzt weist Malti mich auch zurück.« Er kickte einen kleinen Brocken von dem ausgetretenen, rissigen Betonboden durchs Zimmer.
Der Vaid richtete sich vor Kalu auf. »Du darfst nicht ärgerlich sein. Hier geht es nicht um dich. Jedem sollte es gestattet sein, seine eigenen Entscheidungen zu treffen, genau wie du deine getroffen hast. Du hilfst ihr mehr, indem du ihr
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