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Der Klang der Sehnsucht - Roman

Der Klang der Sehnsucht - Roman

Titel: Der Klang der Sehnsucht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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sich, ihn ins Haus zu lassen. Du hättest sie sehen sollen. Kaum hatte sie das Feuer berührt, schien es, als wäre die heilige Mutter selbst in sie gefahren. Inzwischen bitten viele junge Mädchen Swetaben, für sie zu beten.
    Bevor du ihr die Chapati bringst, geh noch bei den Nachbarn vorbei, sie haben bestimmt auch etwas Gemüse für sie. Wir werden die Familie nicht verhungern lassen.«
    *
    An dem Tag, als Malti nach Hastinapore zurückfuhr, legte ihre Mutter ihr einen blauen Sari und ein wenig Geld in die Tasche. »Ich habe diesen Monat etwas gespart. Dein Vater weiß nicht, dass der Zucker billiger geworden ist. Außerdem isst er sowieso zu viel Zucker. Das ist für dich. Du tust so viel für die Familie.«
    Malti wusste, dass ihre Mutter es hasste, Abschied zu nehmen. Der Sari hatte alle Farben des Himmels an einem warmen Win
tertag – vom blassen Blau kurz vor Sonnenaufgang bis zum klaren, leuchtenden Blau am Nachmittag. Er war wunderschön.
    »Sei ein braves Mädchen. Arbeite fleißig, und erzähl deinem Vater nichts von dem Sari und dem Geld. Männer kennen sich mit solchen Dingen nicht aus. Dein Vater bringt dich zur Bushaltestelle.« Sie umarmte Malti und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen, davon.
    Malti und ihr Vater schritten schweigend nebeneinander her. Sie verließen das Haus immer etwas früher, um noch Zeit für sich zu haben.
    »Bist du glücklich, Beti?«, fragte Maltis Vater.
    »Ja«, erwiderte Malti. »Ja«, wiederholte sie, als ihr klar wurde, dass es der Wahrheit entsprach. Sie hatte Freiheit und eine Familie. Auch wenn Ganga Ba mitunter streng war, so war sie niemals grausam. Sie war immer traurig, wenn sie von zu Hause fortmusste, aber diesmal war das Gefühl bittersüß und erinnerte sie an den Geschmack von Anis.
    »Natürlich habe ich dauernd Sehnsucht nach dir und Ma.« Malti wollte ihrem Vater vermitteln, was sie empfand. »Aber meine Arbeit gefällt mir, und ich habe viele Freundinnen. Es wäre wirklich Verschwendung gewesen, mich weiter zur Schule zu schicken. Du hättest mal sehen sollen, wie schwer es für mich war, lesen zu lernen!« Sie wandte sich ihrem Vater zu, so dass sie ihm in die Augen sehen konnte. »Ja, Papa, ich bin glücklich.«
    Ihr Vater lächelte. »Das freut mich sehr.« Die Haltestelle kam in Sicht, und Malti erkannte die gelben und grünen Markierungen an dem wartenden Bus, mit dem sie den größten Teil der Strecke nach Hastinapore zurücklegen würde.
    »Hier, Beti, das ist für dich.« Ihr Vater überreichte ihr eine rote Schachtel mit einer orangefarbenen Schleife. »Die habe ich beim Süßwarenhändler geholt, als Mutter gerade nicht aufgepasst hat. Für die Rückreise. Ich will ja nicht, dass mein Töchterchen nur noch Haut und Knochen ist.«
    Malti nahm die Schachtel, steckte sie in ihre Tasche, umarmte ihren Vater kurz und berührte dann ehrerbietig seine Füße, bevor sie in den Bus stieg und sich auf ihren Platz setzte. Bis zur Abfahrt des Busses schauten sie einander durch das Fenster an, dann erst machte ihr Vater kehrt.
    *
    »Du kannst nicht mit uns spielen. Du weißt ja nicht mal, wie das geht.«
    »Warum nicht?«, fragte Kalu.
    »Weil ich es sage, du Flöte.« Der Junge lachte höhnisch.
    Kalu hatte es befürchtet. Aber der Guruji hatte seine Sorge abgetan. Jedes Scheitern sei ein Schritt auf dem Weg zum Erfolg, sagte er. Das war alles Martins Schuld. Bei seinem letzten Besuch hatte er den Guruji überzeugt, dass es wichtig für Kalu sei, Freunde in seinem Alter zu haben, und Kalu war es nicht gelungen, den Guruji umzustimmen. Die anderen Kinder vom Baum aus oder im Vorüberfahren mit Ashwin zu beobachten war eine Sache. Mit ihnen spielen zu wollen eine ganz andere.
    Statt direkt hinunter ins Dorf zu gehen, stieg Kalu zuerst bis zu einem flachen, grauen Felsen hinauf, der das Tal überblickte. Er legte seine Flöte an die Lippen und spielte aus vollem Herzen. Er spielte von Dingen, die er gesehen hatte. Wie die Blätter des Pipalbaums in der Sonne flirrten. Die Musik bemächtigte sich immer mehr seiner Gefühle. Sein Spiel wurde inbrünstiger und tiefer. Ton folgte auf Ton und verklang wie das Geräusch von Tropfen, die in einen Teich fallen. Er spielte von seiner Furcht vor der Ablehnung der Kinder aus dem Dorf. Und am Schluss rief er das Selbstvertrauen zurück, das er auf seinem Weg von Hastinapore hierher anscheinend verloren hatte. Die Melodie ergriff ihn und ließ ihn auch nicht los, als er die Flöte längst abgesetzt hatte.
    Den ganzen

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