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Der Klang der Sehnsucht - Roman

Der Klang der Sehnsucht - Roman

Titel: Der Klang der Sehnsucht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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Weg hinunter ins Dorf begleitete ihn sein Lied. Als
die Jungen sich um ihn scharten, bemühte Kalu sich, ihren Blicken standzuhalten.
    In Hastinapore hatte er sich nie Gedanken darüber gemacht, ob jemand ihn mochte oder gern mit ihm zusammen war. Er hatte einfach mitgemacht, bis man ihn verjagte, und selbst das war ihm wie ein Spiel vorgekommen.
    »Was willst du hier, Flöte?«, sagte der größte Junge. »Du hast vielleicht schicke Schuhe, aber sonst hast du uns nichts zu bieten. Hau ab, geh zu deinen eigenen Leuten!«
    Kalu fiel eine Geschichte ein, die der Guruji ihm zu lesen gegeben hatte. Sie handelte von einem Affen und einem Krokodil. Der Affe hätte zu gern von den saftigen Mangos auf der anderen Seite des Flusses genascht, hatte aber Angst, das Krokodil würde ihn fressen, sobald er versuchte, hinüberzuschwimmen. Also redete er dem Krokodil ein, sein größter Wunsch würde in Erfüllung gehen, wenn es ihn über den Fluss trüge. Der größte Wunsch des Krokodils war das Herz des Affen, und der Affe behauptete, er bewahre es auf einem hohen Baum auf. Natürlich befand sich das Herz des Affen genau dort, wo es sein sollte, aber das Krokodil ließ sich narren, und der Affe bekam seine reifen Mangos.
    Es musste etwas geben, das diese Jungen sich wünschten. Er musste nur das Richtige finden. Für seine Musik interessierten sie sich nicht, was er brauchte, war eine schicke Armbanduhr wie Martin. Oder vielleicht Martin selbst …
    »Und wenn ich einen Gora-Filmstar mitbringen würde? Er ist ein Freund von meinem Guruji. Er würde bestimmt kommen. Vielleicht würde er euch sogar filmen.« Kalu wandte sich absichtlich an die ganze Gruppe statt an den großen Jungen, der schon Schnurrbartflaum hatte und beinahe, wenn auch noch nicht ganz, ein Mann war.
    Die Jungen besprachen das Angebot. Ihre Stimmung schwankte wie Weizen im Wind bald hierhin, bald dorthin. Kalu blickte sich mit gespielter Gleichgültigkeit um.
    Der Platz, auf dem die Kinder spielten, war kleiner als das Grundstück des Guruji, was ihm den Anschein eines echten Kricketfelds gab, auf dem Schlachten geschlagen und gewonnen wurden. Eine Blechdose an einem Ende und drei dicke Stöcke am anderen ersetzten die Stäbe. Gebowlt wurde nur in eine Richtung.
    »Was sollen wir denn mit einem Fillum-Star?«, fragte der Junge mit dem Schläger. »Ich werde sowieso ein weltberühmter Kricketspieler.«
    »Vielleicht kennt er Lille?«, rief eine Stimme aus den hinteren Reihen.
    »Kannst du Lille herholen?«
    »Aré, was wollen wir denn mit Lille, wenn wir Gavaskar haben können?«
    Die Stimmen um Kalu wurden lauter.
    »Ach«, der große Junge mit dem Schläger hob die Hand, »der weiß ja nicht mal, von was wir reden.«
    »Ich könnte es lernen.« Schon als er das sagte, wusste Kalu, dass er verloren hatte. Die Jungen gingen einer nach dem anderen auf ihren »Kricket-Platz«. Entschlossen, sich nicht vertreiben zu lassen, wenn er es irgend vermeiden konnte, hockte Kalu sich auf einen zerbrochenen Ziegelstein an den Rand des Felds.
    Als das Spiel begann, tauchten auch andere Kinder am Spielfeldrand auf. Zuerst hielten sie Abstand von Kalu, der auf seinem Ziegel herumrutschte und sich bemühte, keine Aufmerksamkeit zu erregen.
    Er wollte sich auf die Spieler konzentrieren und dabei überlegen, wie er Martin dazu bringen konnte, sich als Filmstar auszugeben oder einen der Männer mitzubringen, von denen die Jungen gesprochen hatten. Er wusste nicht, ob Martin überhaupt eine Sonnenbrille oder Goldringe besaß. Außerdem musste er ihn dazu überreden, ordentliche westliche Kleidung zu tragen statt dieser seltsamen Deshi-Aufmachung – Kurta, Jeans und
Champal. Es war nur recht und billig, dass Martin ihm half, schließlich hatte er dem Guruji weisgemacht, Kalu müsse Freunde finden.
    Eine Schar Mädchen und kleinerer Kinder hatte sich inzwischen versammelt. Sie standen in Gruppen, und einige schwatzten mit ihren Freundinnen, andere verfolgten das Spiel.
    »Was machst du denn hier?«, fragte ein Mädchen in einem leuchtend grünen Rock. Ein kleineres, dunkelhäutiges Mädchen mit fragenden Knopfaugen folgte ihr wie ein Schatten. Kalu lauschte dem Tonfall des Mädchens im grünen Rock, weil er mit einem Angriff rechnete. Sie schien aber nur neugierig. Sie war einen halben Kopf größer als er und hatte eine Hand in die Hüfte gestemmt.
    »Also?«
    Kalu deutete mit dem Kopf auf das Spiel. »Ich sehe zu.«
    »Warum spielst du nicht mit?« Ein Junge mit einer Stimme wie

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