Der Klang der Sehnsucht - Roman
seiner Frau schien den Rauch in seinem gelbwurzfarbenen Faltenwurf einzufangen. Ein allgemeines Raunen erhob
sich, als sie ihre Hand in die glühenden Kohlen hielt. Unwillkürlich wich ihr Mann zurück und verlor dabei beinahe das Gleichgewicht. Der Wächter zu seiner Rechten stützte ihn und ließ ihn sofort wieder los. Seine ganze Aufmerksamkeit galt der Frau am Kohlebecken.
57, 56, 55 …
Er wollte den Blick abwenden, auf den Boden oder in die Menge schauen, irgendwo anders hin, aber sie hielt seine Augen fest und ließ nicht los. Verwehrte ihm das Recht, dem Geruch ihres brennenden Fleisches zu entfliehen.
54, 53, 52 …
Eine der Frauen begann zu singen.
Mari nad tamaré hath, hari sambhar jo né, mujné potanu jani né hari,
prabhu pad apjo né
Mein Puls ist in deiner Hand, Herr, beschütze mich. Ich weiß, ich
bin dein, ich gebe mich in deine Hand. Gewähre mir Zuflucht zu
deinen Füßen, Herr.
45, 44, 43 …
Weitere Frauen stimmten ein, eine nach der anderen, im Takt zu Ramanlals Zählen.
Sie zuckte nicht mit der Wimper, gab nicht zu erkennen, dass sie das Lied hörte. Nur die Schweißperlen auf ihrer Stirn, ihre erweiterten Pupillen und der leichte Schauer, der in Abständen ihren Arm ergriff, verrieten ihren Schmerz.
23, 22, 21 …«
Der Gesang wurde lauter, während Ramanlal bis eins zählte und die Hand hob. Die Feuerprobe war beendet.
Die Frauen eilten herzu, um seiner Frau beizustehen, hielten jedoch inne, als sie ihnen mit ihrer gesunden Hand Einhalt gebot. An ihrer kerzengeraden Haltung sahen sie, dass die Verurteilte selbst das Ende bestimmte, und ihre Hand ins Feuer halten würde, bis sie bereit war, auch wenn es die Ältesten gewesen waren, die ihre Bestrafung angeordnet hatten.
An der völligen Reglosigkeit ihrer Züge erkannte er, wie sehr sie ihn verachtete. Er war ein Dieb und ein Feigling, und nun wusste das ganze Dorf von ihrer Schande. Die Schande, die er über sie gebracht hatte. Ihre verbrannte, narbige Hand würde ihn ständig daran erinnern.
Sie zog ihre Hand langsam zurück, und die Frauen des Dorfes tauchten sie in Milch. Der Geruch nach verbranntem Fleisch erinnerte ihn an die Ziege, die er gestohlen hatte. Die Ziege, die zu diesem Tag geführt hatte. Aber hätte sie nicht dauernd an ihm herumgenörgelt, hätte er die Ziege nicht stehlen müssen.
Er schluckte, spürte nichts als tiefe, schmerzhafte Trockenheit in der Kehle. Er wusste nicht, ob er je wieder imstande sein würde, etwas zu schmecken.
*
Wenn Malti bei ihren Eltern war, gehörte es zu ihren besonderen Aufgaben, die Chapati zuzubereiten. Das Mehl, das sich zuerst locker anfühlte und sich dann verfestigte, wenn sie Öl und Wasser hinzufügte, und schließlich zu einem weichen, zähen Teig wurde, erinnerte sie an ihre Kindheit. Im Monsun hatte Raja sie mit zu den Schlammpfützen genommen, wo sie genüsslich in der braunen Brühe saßen und Malti aus Matsch Chapati und Laddu fabrizierte. Nur dass Raja nie davon essen wollte. Lächelnd dachte sie daran, dass sie als Kind nie genau verstanden hatte, warum er sie nicht ebenso begierig in sich hineinstopfte wie die, die ihre Mutter in der Küche zubereitete.
Die echten Chapati erinnerten auch an die Abreibung, die ihre Mutter ihnen verpasste, wenn sie die Geschwister beim Ringen in den schlammigen Pfützen erwischte. Malti fand jedoch schon damals, dass dieses Vergnügen die Schläge wert war.
»Weißt du noch, wie wir immer die Matsch-Chapati gebacken haben, Ma?«
»Wie könnte ich das vergessen? Ihr beide habt mir endlosen Ärger bereitet.« Ihre Mutter musste für den Rest des Tages eine
Augenklappe und drei Tage eine dunkle Brille tragen. Konnte es aber nicht lassen, in die Küche zu kommen. Malti störte das nicht. Sie mochte Gesellschaft.
»Und mach auch ein paar Chapati für Swetaben. Du kennst sie doch? Sie hat diesen Taugenichts vom Ende der Straße geheiratet.«
»Was ist denn passiert? Ist sie krank?«
»Er hat eine Ziege aus dem Nachbardorf gestohlen, und Swetaben musste dafür bezahlen. Das ist passiert.«
Malti hielt beim Ausrollen inne. »Wie geht es ihr?«
»Wir haben die Augenärzte, die hier waren, gebeten, Swetabens Hand zu untersuchen. Sie machten ein großes Tamtam und trugen eine Salbe auf, bevor sie wieder abfuhren. Die Ärzte kommen zwar und helfen, das ist auch gut, aber vom wirklichen Leben haben sie keine Ahnung.«
»Und was ist mit ihm? Wo ist er?«
»Sitzt in der Ecke und spielt den Beleidigten. Swetaben weigert
Weitere Kostenlose Bücher