Der Klang der Sehnsucht - Roman
Vorbereitungen, die bis spät in die Nacht gedauert hatten. Das Gelächter der Gäste und die sonoren Stimmen der Priester verwirrten sie, und sie brauchte eine Weile, um sich zu orientieren.
Sie war die Braut. Neben ihr saß der Bräutigam. »Lieber Gott«, dachte sie, »mach, dass er nicht hässlich ist.«
Das Erste, was sie von seinem Körper sah, waren seine Füße. Die Haut war gleichmäßig braun, wie Kandiszucker. Seine Zehen waren kurz und breit, und lange Haare sprossen bis über die Nägel wie bei einem Gorilla. Nein, nicht wie bei einem Gorilla, tadelte sich Malti. Männer hatten immer kräftige, haarige Zehen. Sie warf einen verstohlenen Blick auf den Mann neben sich, achtete aber darauf, dass ihr Sari sich nicht bewegte. Niemand durfte bemerken, dass sie ihre Augen nicht geziemend gesenkt hielt.
Was mit glücklichen Bräuten geschah, war allgemein bekannt. Glückliche Braut, unglückliche Ehe. Sie neigte den Kopf ein wenig mehr in Richtung ihres Mannes. »Bitte, Gott«, wiederholte sie, »lass ihn nicht hässlich sein.« Er hatte das Gesicht abge
wandt. Sie sah nur seine Silhouette gegen die Papierfahnen, die auf den Häusern um den Hochzeitsplatz flatterten. Dichtes schwarzes Haar und eine leicht gebogene Nase.
Sie saßen nebeneinander, ihre Hände waren mit einem roten Tuch zusammengebunden. Malti versuchte, sich auf die Zeremonie zu konzentrieren, aber ihre Gedanken schweiften ab, als der Priester mit der Rezitation fortfuhr. Sie verstand die Worte nicht, das taten nur die alten Frauen. Aber sie wusste, wann sie aufstehen, wann sie sich setzen und wann sie Puffreis oder Ghi in die Flammen opfern musste. Während sie das Hochzeitsfeuer umrundeten, versuchte sie, seine Größe und seine Statur zu erkennen. Sie schritten dreimal in die eine Richtung, einmal in die andere. Er setzte seinen Fuß auf den ihren, mit dem sie auf den Betelnüssen stand, wie es Brauch war. Dann taten sie sieben Schritte, die sie endgültig zu Mann und Frau machten.
Die Zeremonie zog sich hin, und Malti spürte, wie ihre Aufregung wuchs. In diesen drei Stunden hatte sie viele Einzelheiten wahrgenommen, aber keinen Eindruck von der Person dahinter erhalten. Sie wusste, dass sie nur in seine Augen zu sehen brauchte. Aber selbst das war ihr verwehrt. Malti wandte sich ihrer Familie zu, die rechts von ihr saß. Neben ihrem Bruder Raja saß Kalu, der diesen mittlerweile überragte, und lächelte ihr zu. Aufrecht und gelassen saß er zwischen Ganga Ba und seinem weißen Freund. Sie waren die Sensation des Dorfes.
Ein Anflug von Reife lag in Kalus Blick, dennoch war der Keim seines Lachens, das sie so gut kannte, nicht verschwunden. Doch vor allen Dingen sah sie die Kraft darin. Seine Augen sagten ihr, sie könne alles tun und es wäre in Ordnung
Aufgeregt hatte ihre Mutter sich das Gehirn zermartert, was sie ihren illustren Gästen vorsetzen sollte, derweil sie unablässig das Glück ihrer Tochter bejubelte. »Gott hat meine Gebete und mein Fasten erhört. Malti – deine Hochzeit ist die größte seit zehn Jahren!«
Schließlich ließ man Braut und Bräutigam hochleben, und ein Regen aus Rosenblüten ging auf sie hernieder. Malti beobachtete, wie eine davon in die Glut des Hochzeitsfeuers schwebte. Die Blüte schrumpfte und zerfiel zu Asche.
Malti spürte ein leichtes Ziehen an dem Tuch, das sie mit ihrem Mann verband. Er bückte sich, um zuerst die Füße seines Vaters und dann die von Maltis Vater zu berühren, um ihren Segen zu erhalten. Malti schloss sich ihm an. Sie dachte an die Worte ihrer Mutter. »Tu, was man dir sagt. Hilf deiner neuen Mutter, und mach keine Schwierigkeiten.«
Noch immer hatte sie ihren Mann nicht gesehen. Nicht richtig. Auch nicht mit ihm gesprochen. Aber dazu war auch später noch Zeit. Sie hatten ihr ganzes Leben vor sich.
*
Es hatte in der Nacht geregnet, und die Sonne war gerade aufgegangen. Der Tag schien rein und wie frisch gewaschen, als Kalu und Bal sich an der Biegung des Flusses trafen. Die beiden Freunde folgten den Büffeln auf die angrenzende Weide. Sie brauchten keine Worte.
Sooft Kalu nach Hastinapore zurückkam, war seine Zeit mit Begegnungen angefüllt. Nach der Stille im Haus des Guruji empfand er das als recht schwierig. Obwohl er jetzt Freunde im Dorf hatte und das Haus oft voller Besucher war, verlief das Leben dort in einem anderen Rhythmus, langsamer und harmonischer. Ganga Ba und ihre Freundinnen organisierten Essen, Teegesellschaften und besondere Ausflüge mit ihm,
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