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Der Klang der Sehnsucht - Roman

Der Klang der Sehnsucht - Roman

Titel: Der Klang der Sehnsucht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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Himmel, wie um Almosen von ihm zu erbitten. Die Ladenbesitzer eilten heraus und zogen hastig Planen herunter oder brachten ihre Waren vom Gehweg ins Innere, damit der Wolkenbruch sie nicht verdarb.
    Dann kam er. Grüner Regen, wie aus Eimern. Seine wallende
Flut lief an Bananenblättern hinunter, über gekalkte Häuser und alte Backsteingemäuer. Lachend versuchten die Kinder, die großen, schweren Tropfen mit offenem Mund aufzufangen, bevor sie auf die rote, ausgedörrte Erde klatschten. Der Regen tränkte Kleider, Haare und Haut mit tiefen, satten Farben.
    Malti ließ ihre Tasche fallen, ohne zu merken, dass die Bohnen und die Auberginen herausrollten, und hob ebenfalls die Hände. Sie spürte, wie der Regen den – äußeren und inneren – Schmutz eines Jahres fortspülte. Er floss in Strömen und Bächen durch ihr Haar, rann ihr übers Gesicht und über den Hals. Lachend fühlte Malti, wie ihr Körper die Hitze in den dichten Regen entließ.
    Wenn der Monsun länger andauerte, machte die große Nässe vieles sehr beschwerlich. Doch in diesem Moment brachten die großen, schweren Tropfen Malti wieder ins Bewusstsein, wer sie wirklich war. Keine Dienerin und keine Ehefrau. Weder Schwester noch Tochter, sie war einfach Malti. Als sie merkte, dass jemand hinter ihr stand, wandte sie sich noch immer lachend um. Es war ein Mann, ebenso durchweicht, ebenso fröhlich wie sie. Er streckte ihr den nassen Jutebeutel entgegen.
    »Ihr Gemüse, meine Dame.«
    *
    Es war früh am Morgen. Abermals in einer fremden Stadt stand Kalu auf einem Balkon und beobachtete die schwindenden Lichter der Nacht, während der Himmel sich golden färbte. Das Leben auf Reisen mit seinen Auftritten erschien ihm noch immer unwirklich. Seine erste Reise im Jahr zuvor war überwältigend gewesen. Die Furcht und der Zauber, die er damals empfunden hatte. Der Flug war zwar aufregend gewesen, aber besonders beeindruckt hatten ihn die vielen weißen Menschen auf dem Flughafen, als sie gelandet waren. Er hatte geglaubt, er sei daran gewöhnt, Menschen aus verschiedenen Ländern zu sehen. Aber so viele, alle in westlicher Kleidung, hatte er noch nie er
lebt. Es war ihm nicht unbehaglich, es war nur anders. Ihm wurde bewusst, wie Martin sich gefühlt haben musste, als er das erste Mal nach Indien kam.
    Martin war immer bei ihm gewesen, bereit, ihm beizuspringen, wenn es nötig war. Ansonsten überließ er es Kalu, seinen Weg zu finden.
    Das Beste von allem war die Musik. Auch wenn er nur wenige Stücke gespielt hatte, war es eine Freude, mit Martin auf der Bühne zu stehen. Die Erwartungen zu spüren, die sich um ihn herum aufbauten. Die Stille vor dem ersten Ton.
    Sein erstes Konzert in Indien, in Delhi, war furchterregender gewesen, weil das Publikum sich sehr viel besser auskannte. Es hatte sich um ein Benefiz-Konzert für Erdbebenopfer gehandelt. Eigentlich hatte man den Guruji gebeten, woraufhin dieser Kalu geschickt hatte. Inzwischen bekamen sie beide Angebote. Der Guruji hatte ihn einige annehmen lassen, aber nicht allzu viele. Kalu war glücklich, dass das Publikum sein Spiel schätzte. Und dass er so endlich etwas zu den Haushaltskosten beitragen konnte. Aber vor allem liebte er die Musik.
    Wenn er für sich spielte, versank die Welt für ihn. Wenn er mit Martin spielte und Dhol, Tabla, mitunter auch Keyboard oder Cello sie begleiteten, tauchte er völlig in die Musik ein, so dass er das Publikum ganz vergaß. Er spürte, dass er hierfür und nur hierfür geschaffen war.
    Ihr gemeinsames Stück stand stets als letztes auf dem Programm. Es begann nach westlicher Notation – ein irisches Lied oder eine Jazznummer –, doch dann bewegten sie sich mit zunehmender Energie Ton für Ton, Takt für Takt auf die Form des Raga zu, übersprangen den Alap und setzten mit dem Antara ein, um später zum Jugalbandhi überzugehen.
    Es war keine Verschmelzung westlicher und östlicher Musik im herkömmlichen Sinne, es war mehr – es war, als verzehrten die beiden einander in ihrem eigenen Feuer. Während die Musik von einem Kontinent zum anderen sprang, stimmte das üb
rige Ensemble kraftvoll ein. Manchmal dauerte ein Auftritt eine Stunde, manchmal zwei. Doch immer hatten die Zuhörer das Gefühl, sie säßen im Auge eines Orkans.
    Anschließend zogen die Musiker mitunter noch in eine Bar oder einen Club, um Musik zu hören und zu entspannen. An anderen Abenden kehrten sie in ihr Hotel zurück und saßen stumm und erschöpft herum, während ihre Euphorie

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