Der Klang der Sehnsucht - Roman
Bhai?« Er rüttelte Bal an der Schulter und hielt seine Hand an Bals Nase. Er atmete. Schwach und unregelmäßig, aber er atmete.
Bal schlug langsam die Augen auf. »Kalu?« Seine Stimme klang kreidig, als hätten die Felsen sich auf seine Stimmbänder gelegt. »Was ist passiert?«
»Du bist gestürzt. Aber es wird alles wieder gut.« Kalu sah auf seinen Freund hinunter. Im Gesicht hatte er nur ein paar Kratzer abbekommen, aber ein tiefroter Fleck breitete sich auf seiner Brust aus. Aus seinem Hinterkopf sickerte Blut. Sein rechtes Bein lag verdreht neben ihm und blutete ebenfalls.
»Ich fühle mich furchtbar.«
Kalu holte tief Luft und zwang sich zu einem gelassenen Gesichtsausdruck. »Sei nicht albern, Yar. Ein kleiner Sturz, und schau dich an!« Kalu rang sich ein Lächeln ab.
Bal erwiderte mit dem Gespenst eines Lächelns. Er sagte nichts.
Einige Minuten herrschte Stille.
»Gleich kommt Hilfe. Dann wird es dir sofort besser gehen.«
Kalu legte Bals Kopf in seinen Schoß, damit sein Freund leichter atmen konnte.
»Spiel mir etwas vor, Kalu. Ich möchte dich spielen hören.«
»Sei kein Idiot. Du kommst in null Komma nichts wieder in Ordnung.« Kalu umfasste Bals Schultern und legte ihm die Hände auf die Schlüsselbeine. Obwohl man es nicht sah, spürte er durch das Hemd, wie Bal zitterte.
»Spiel.«
Bals Stimme wurde bereits schwächer.
Kalu las die stumme Bitte in den Augen seines Freundes und nahm mit einer Hand seinen Flötenkasten von seinem Rücken und zog sein Hemd aus. Der Deckel des Kastens hatte einen Riss abbekommen und ließ sich schwer entriegeln, aber die Flöten waren unversehrt. Kalu breitete sein Hemd über Bal, um den Blutfleck zu verdecken, und fing an zu spielen. Die langsamen, langgezogenen Töne hauchten Bal wieder etwas Leben ein.
Keuchend schloss sein Atem sich ihrem Rhythmus an. Kalu hatte eigentlich ein Navratri-Lied spielen wollen, die schwungvolle Garba, die Bal so mochte. Doch der tiefe, volle Klang seiner Rosenholzflöte erhob sich zu einem klagenden Raga. Er verband die beiden Freunde, bis Kalu jedes Zeitgefühl verlor. Er war sich nicht bewusst, dass er seine Lebenskraft auf Bals reglosen Körper übertrug und die Musik das aus der Wunde strömende Blut aufhielt.
Kalu spürte eine Bewegung in seinem Schoß. Er öffnete in der Hoffnung, dass es Bal besser ginge, die Augen und lächelte nach unten. Doch Bal rührte sich nicht.
Es war Vaid Dada, der eine Decke über den Verletzten breitete. Er schüttelte den Kopf. »Du kannst aufhören, Kalu.«
Aber Kalu hörte nicht auf. Er spielte weiter. Er wusste, solange er spielte, würde Bals Herz nicht aufhören zu schlagen. Er schüttelte die Hand ab, die sich auf seine Schulter legte, und fuhr fort zu spielen. In der Musik spiegelte sich der Widerstand
in seinem Herzen. Wenn Savitri den Gott des Todes überlisten und ihren Mann retten konnte, dann konnte er das auch. Er würde nicht zulassen, dass Bal heute starb.
Kalu spielte und spielte. Die Musik ergriff völlig Besitz von ihm, und der Schmerz verschwand. Vaid Dada setzte sich neben ihn. Menschen, die gekommen waren, um zu helfen, entzündeten Feuer und scharten sich um ihn, um Wache zu halten. Immer mehr Leute kamen. Kalu nahm sie nicht wahr. Seine Welt war nun ganz auf seinen Freund beschränkt. Bals Brust hob sich kaum noch, und sein Gesicht war aschfahl. Aber Kalu spielte immer weiter. Er fuhr sich mit der Zunge über die aufgesprungenen Lippen und bewegte sich erst, als ein Schweißtropfen auf Bals Gesicht fiel.
Eine einzelne rote Träne rann über Bals Wange. Langsam öffnete er die Augen. »Bhai, es wird Zeit.«
Kalu spielte weiter.
»Bitte, Bhai. Lass mich gehen.«
»Neiiiiin«, klagte die Flöte.
»Du hast mir die Welt versprochen. Jetzt erlaube mir auch, sie zu sehen. Es ist Zeit.«
Der Vaid legte seine Hand auf die Flöte und drückte sie nach unten, fort von Kalus Lippen. »Lass ihn, es ist genug.«
In diesem Moment hörte Bal auf zu atmen.
Kalu wand sich und schrie, schleuderte die Flöte von sich. »Bhai! Geh nicht. Ich brauche dich. Bhai!« Er schlang seine Arme um Bal und wiegte ihn.
*
Kalus ganzer Körper schmerzte. Gehen war das Einzige, das ihm einfiel, um den Schmerz zu lindern. Nichts würde mehr so sein wie früher. Er wünschte sich, die letzten Tage wären nie geschehen.
Ziegen stöberten in einem runden Betonbehälter mit Abfall, der am Straßenrand stand. Einige Krähen hockten auf dem Bo
den und auf den Rücken von Ziegen, die sich
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