Der Klang der Zeit
sagen, die Umwandlung der Materie ist gelungen? Die Menschheit ist im Begriff, neue Elemente zu schaffen?«
So sei es, erklärten die Europäer ihm. Die ganze Naturgeschichte müsse neu geschrieben werden. Ein neuer Schöpfungstag habe begonnen. Sie rückten auf dem Sofa zusammen, und der Doktor setzte sich zu ihnen; sie zeichneten Diagramme für ihn, schrieben Listen von Atomgewichten und Ordnungszahlen. Und so spaltete sich die Gesellschaft in zwei Gruppen, nicht in Weiße und Schwarze, nicht in Einheimische und Ausländer, nicht einmal in Frauen und Männer, sondern in Sänger und Baumeister, und keiner hätte sagen können, welche von beiden Künsten die gefährlichere war und welche auf lange Sicht eher eine Chance hatte, die Wunden der Welt zu heilen.
Als alles aufgegessen war, löste die Gesellschaft sich allmählich auf. Ruhe kehrte unter den Gästen ein, die noch blieben, eine Ruhe, die erst von einem markerschütternden Schrei Nettie Ellens unterbrochen wurde. Sie verschwand in ihrer Speisekammer und kam mit einem kunstvoll dekorierten Besen zurück. »Das hätten wir gleich zu Anfang machen müssen, als wir von der Trauung zurückkamen.«
Sie stellte die gesamte Gästeschar, sogar die prometheischen Freunde des Bräutigams, im Kreis auf. Sie packte ihren Mann. »Du könntest dich auch mal nützlich machen.« Und drückte ihm den Besen in die Hand.
Alles lachte, mit Ausnahme der verlegenen Braut. Der Besen – ein lokkerer handgemachter Strohbesen – war geschmückt mit Blumen und Bändern in allen Farben, die Arbeit von Lorene und Lucille unter Aufsicht ihrer Mutter. An den Bändern hingen zauberkräftige Dinge zu Dutzenden: Der Babylöffel der kleinen Delia, eine Locke der Zehnjäh-rigen, der Ring, den sie in ihrer Grundschulzeit getragen hatte, ein Foto von ihr, wie sie einen Zwillingskinderwagen schiebt, eine Achtelnote aus Blech, das zusammengerollte Programm ihres ersten Kirchenkonzerts. Es waren auch ein paar Dinge von ihrem Mann dabei: eine Uhr, die nicht mehr lief, die Zeiger auf drei Uhr gestellt, ein einzelner Manschettenknopf mit den Insignien der Columbia-Universität, der ihm wie durch Hexerei abhanden gekommen war, und ein kleiner versilberter Davidsstern, genau die Art, die er nie getragen hatte, ein Fundstück aus einem Trödelladen in Southwark.
Dr. Daley begann mit der Beschwörungsformel, seine Kehle ein breiter kühler Fluss. »Jedes Paar braucht seine Freunde und seine Familie, wenn es gemeinsam durchs Leben kommen will. Dieses Paar hier ...« Er wartete schweigend, bis er die Stimme wieder fand. »Diese beiden werden jeden brauchen, den sie haben.«
Während er sprach, drückte der Doktor dem jungen Paar den Besenstiel in die Hand und wies sie an, das Innere des Kreises auszufegen. Sie machten zweimal die Runde, sämtliche Stunden eines ganzen Tags. Die Borsten des geschmückten Besens riefen jeden der Anwesenden zum Zeugen auf.
»Ein Paar ist kein richtiges Ehepaar, wenn es ein Paar bleiben will.«
»Hört, hört!«, rief jemand im Zirkel.
»Ein Paar, das müssen weniger als zwei sein und mehr als zwei, und beides zugleich.«
»Ganz recht«, sagte Nettie Ellen, als der Besen an ihr vorüberkam.
»Eine seltsame Mathematik ist das – die nicht-euklidische Geometrie der Liebe!«
David Strom strahlte seinen Schwiegervater an, mit einem Grinsen, das bis zu den Ohren reichte. Auch Delia betrachtete ihren Vater, aber sie hielt den Kopfschief, wie eine Tür, die aus den Angeln ist. Ihr Vater, der Doktor, der Rationalist – in seinem Herzen ein Prediger.
»Diese zwei könnten ins Gefängnis gesteckt werden für das, was sie tun. Aber nicht hier, in unserem Bundesstaat.«
»Nein, Sir!«
»Und nicht in dem Staat, in dem ihr Zuhause sein soll.«
»Ein Festtagsstaat!«, rief jemand.
»Segne und behüte«, sagte William Daley, so leise, dass die Frischvermählten gar nicht merkten, dass seine Rede zu Ende war. Der junge Ehemann musste den Besen vor die Braut auf den Boden legen. Alle zählten bis drei, und sie sprangen darüber und landeten auf der anderen Seite.
Jeder andere Laut tauchte unter in Lachen und Applaus. »Was bedeutet der Brauch?«, fragte der Bräutigam.
Die Brautmutter antwortete. »Das bedeutet, dass ihr reinen Tisch macht. Das Haus, in das ihr zieht, ist sauber und neu, vom Keller bis zum Dachboden. Alles Schlimme, was das Leben euch bisher zugefügt hat, hat der Besen weggefegt!«
Die Tochter schüttelte den Kopf, widersprach zum ersten Mal offen ihrer
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