Der Klang der Zeit
Mutter. Ihre Augen blickten gejagt, sie waren tränenfeucht. Sie sagten Nein. »Es heißt, dass wir ... Es heißt, dass wir nicht einmal ...«
David Strom starrte zu Boden, auf das Strohbündel mit seinen bunten Bändern. Er verstand genau, was seine Braut sagen wollte. Jahrhunderte außerhalb des Gesetzes, verbannt aus dem Angesicht Gottes, beraubt selbst dieses einfachsten Rechts der Menschen: Zu heiraten. Er blickte zu Boden, sah diesen Kreis, diese Kirche, diesen Besen, dieses improvisierte Versprechen, bezeugt und besiegelt vor den Augen derer, denen ihre Rechte ebenso verweigert waren, dies geheime, ungesetzliche Ver-sprechen, dieses unwiderrufliche Gelübde, das stärker war als jede Unterschrift unter einem Kontrakt, haltbarer als jeder in aller Öffentlichkeit besiegelte Pakt, ein Versprechen so hart wie die ausgefegte Seele ...
Die letzten Gäste gingen, und nur ihre guten Wünsche blieben zurück. Die Daley-Kinder wurden schüchtern, beklommen; erst jetzt begriffen sie das Ausmaß der Tat der Schwester. Dr. Daley und Nettie Ellen ließen das junge Paar auf dem Wohnzimmersofa Platz nehmen und zauberten aus dem Nichts einen verzierten Umschlag hervor. Delia öffnete ihn. Darin war die Fotografie eines Spinetts.
»Wir lassen es direkt nach New York liefern«, erklärte Dr. Daley. Und seine Tochter saß da und schluchzte.
Sie verabschiedeten sich in einer langen Reihe von feierlichen Umarmungen. Gemeinsam verließ das junge Paar das Elternhaus; David trug das Gepäck, Delia klammerte sich an den Besen. In einem Mietwagen fuhren sie zurück nach New York. Der einzige Ort, den sie für ihre Flitterwochen hatten, war seine Junggesellenwohnung. Auf keiner Landkarte gab es einen Platz, an dem sie hätten bleiben können. Aber für sie wäre diese erste gemeinsame Nacht auch an den Niagarafällen nicht schöner gewesen.
Vorsichtig, tastend richteten sie sich in der Ehe ein – ein kleines Duett, ein Allegro der Ängstlichkeit. Keiner von beiden hatte ein gemeinsames Leben wie dieses vorausgesehen. Es amüsierte sie, wie anders sie es sich vorgestellt hatten. Sie beobachteten sich am Tisch, beim Geschirrspülen, im Bad, im Bett, in der Zimmertür und stellten alles, was sie über dieses Leben gehört hatten, auf den Kopf. Sie lachten miteinander, manchmal ein ungläubiges Lachen, und manchmal ging ihnen gemeinsam etwas auf, das schon lange offensichtlich gewesen war. Meistens hatten sie Glück bei diesen Verhandlungen der Liebe, denn oft genug war das, was dem einen ehernes Gesetz war, dem anderen vollkommen egal.
Es war immer neue Arbeit, sich gegenseitig zu erforschen, aber nicht härter als die Arbeit des Lebens überhaupt. Es gab Missverständnisse, aber jedes Mal blieb der, der sie erdulden musste, stark genug, um den, der sie ausgelöst hatte, zu trösten. Die Verachtung, die ihnen von außen entgegenschlug, machte die Zuflucht, an der sie bauten, nur umso stärker. Wenn sie sangen, sprachen sie dieselbe Sprache. In der Musik fanden sie immer den richtigen Ton. Keiner aus ihrem Zirkel von Musikliebhabern hörte je ein böses Wort zwischen ihnen. Aber sie nannten sich nie anders als bei ihren angestammten Namen. Einfach den anderen anerkennen: Besser konnte Liebe nicht sein. Sie waren albern miteinander, übermütig oder auf eine spöttische Weise wehleidig. Aber ihre größten Liebeserklärungen waren nicht die Worte.
Nach zwei gemeinsamen Monaten warf der Vermieter sie aus der Wohnung. Sie hatten schon darauf gewartet. Delia machte sich auf die Suche, streifte in ihrem besten Kleid, dem blauen mit den Trompetenärmeln, durch die Straßen rund um das City College in der Hoffnung auf einen Ort, an dem man sie leben ließ. Dann suchte sie weiter im Norden, in Vierteln, in denen die Grenzen weniger eindeutig waren. Ihr Mann war auf einen Gedanken gekommen. »Der Vogel und der Fisch bauen ihr Nest aus dem Nichts!« Ein kleines Weilchen lang tröstete die Vor-stellung sie.
Ein Nest erschien wie von Zauberhand. Eine Kollegin in einem Chor, in dem Delia für einen Hungerlohn sang, machte sie mit Mrs. Washington bekannt, der Schutzpatronin aller Grenzgänger mit ihrem Sandsteinhaus in Hamilton Heights. Aus Dank küsste Delia ihr die Füße, bot kostenlose Dienste, scheuerte Dielen, tapezierte Wände, bis auch ihre begeisterte Hausherrin sie nicht mehr guten Gewissens arbeiten lassen konnte.
Monatelang lebten sie in einer glücklichen, zur Ruhe gekommenen Gegenwart. Dann kam Delia mit einem angstvollen Lächeln
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