Der Klang des Herzens
Kaninchen tot war. Dann hielt er es ihr hin. Sie streckte die Hand danach aus, aber als sie fühlte, wie warm es noch war, zuckte sie zurück. Ihr freudiger Gesichtsausdruck fiel in sich zusammen. »Es ist so schön«, seufzte sie.
»So sehe ich sie nicht«, entgegnete er.
»Aber seine armen Augen …« Sie versuchte, ihm die Lider zuzudrücken. »Mein Gott, ich habe es wirklich getötet.«
Byron runzelte die Stirn.
»Ich weiß … ein komisches Gefühl: Gerade hat es noch gelebt, und plötzlich ist es tot. Weil ich es umgebracht habe. Ich habe noch nie im Leben irgendwas getötet.«
Es war tatsächlich ein schockierendes Gefühl, einer Kreatur Schaden zuzufügen, ihr Leben zu beenden. Byron suchte nach einer Erklärung, die sie trösten konnte. »Denken Sie an ein Batteriehuhn. Und dann denken Sie an dieses Kaninchen, das sein ganzes Leben so verbracht hat, wie ein Kaninchenleben sein soll, das alles erfahren durfte, was ein solches Tier erfahren soll. Was wären Sie lieber?«
»Ich weiß, es ist albern. Aber ich ertrage es einfach nicht, einem anderen Wesen Schmerzen zuzufügen.«
»Aber es war ein blitzschnelles Ende«, entgegnete er, »es hat überhaupt nichts gespürt.«
Er sah, wie sie zusammenzuckte, dass sie wie gelähmt vor ihm stand. »Alles in Ordnung? Isabel?«
»Das haben sie auch über meinen Mann gesagt«, erklärte sie, die Augen fest auf das tote Kaninchen geheftet. »Er war auf der Autobahn unterwegs. Wollte zum Auftritt seines Sohnes bei einer Schulveranstaltung fahren. Hat wahrscheinlich gesungen.« Sie lächelte. »Er hatte eine furchtbare Stimme.«
Die Vögel fingen wieder an zu zwitschern. Eine Amsel, wie Byron zerstreut wahrnahm, das rhythmische Gurren einer Ringeltaube. Und Isabels leise, sanfte Worte: »Ein Laster geriet auf die Gegenfahrbahn und ist frontal mit ihm zusammengeprallt. Er hat überhaupt nichts gespürt . Das haben sie gesagt, als sie kamen, um es mir zu erzählen.«
Sie klang so niedergeschlagen. Er wollte etwas sagen, aber manchmal hatte er das Gefühl, die Dinge so lange in sich verschlossen gehalten zu haben, dass er nicht länger Worte für sie fand.
Sie versuchte zu lächeln. »Er hat Faurés Requiem gehört. Die Notärzte sagten, niemand konnte die Stereoanlage ausschalten, während sie ihn rausschnitten. Es muss das Letzte gewesen sein, was er gehört hat, bevor er starb … Ich weiß nicht, warum mich das tröstet, aber das tut es.«
Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. »Wir sind es, die alles spüren müssen. Er hat nichts gespürt.«
»Es tut mir leid«, sagte er aufrichtig.
Sie schaute zu ihm auf. Er hätte nicht sagen können, ob sie ihn für blöd hielt. Ihr Blick war beinahe fragend, als würde sie etwas in seinem Gesicht suchen. Sie war so seltsam. In dem einen Moment lachte sie, schritt energiegeladen einher, im nächsten Moment war sie so, wie er es noch bei niemandem erlebt hatte. In der einen Minute die trauernde Witwe, in der nächsten eine Frau, die Matt erlaubte, mitten in der Nacht bei ihr aufzukreuzen …
Sie gab sich einen Ruck, rieb sich etwas von der Schuhsohle. »Wissen Sie was? Ich glaube, die Jagd liegt mir nicht. Die Rolle des Mörders. Ich bin Ihnen sehr dankbar, Byron, aber ich glaube, ich ermorde in Zukunft nur noch Kartoffeln.«
Feierlich, mit beiden Händen, übergab sie ihm sein Gewehr. Ihm fiel auf, dass Farbspritzer auf ihren Handflächen waren und Schwielen, dort, wo ihre Finger begannen. Er hätte gerne mit dem Daumen darübergestreichelt.
»Wir gehen jetzt besser zurück. Sie müssen zur Arbeit.« Sie berührte kurz seinen Ärmel, dann schlüpfte sie an ihm vorbei und schritt selbstbewusst den Weg, den sie gekommen waren, zurück. »Kommen Sie. Sie können mit uns frühstücken, bevor Matt auftaucht.«
Sei vorsichtig, hatte Jan ihn gewarnt, als er ihr seinen Verdacht in Bezug auf Matt und das Haus anvertraute. Du brauchst jeden Penny, und Arbeitgeber wachsen nicht gerade auf Bäumen. Jedenfalls nicht, wenn man im Gefängnis gesessen hat, so wie du . Das hatte sie zwar nicht hinzugefügt, aber er hatte es auch so verstanden.
Byrons Blick war auf Isabel geheftet, die selbstbewusst und leise summend vor ihm herschritt. Das war es, was das Gefängnis einem antat: Es reduzierte die Wahlmöglichkeiten noch lange danach, schränkte das Leben ein, die Möglichkeit,
sich wie ein ganz normaler Mensch zu verhalten. Es zwang ihn, seine Gefühle vor anderen zu verschließen, Menschen wie Matt McCarthy gewähren zu lassen,
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