Der Klang des Herzens
man die Ohren spitzt, kann man’s hören.«
Die beiden Männer gingen nach draußen. Die Dämmerung brach herein, und die Dorfstraße lag verlassen da. Aus den Häusern, die die Straße säumten, fielen lange Lichtrechtecke auf den Asphalt. Vorhänge wurden zugezogen.
Henry schüttelte den Kopf. »Ich höre nichts.«
»Warte«, sagte Asad. »Vielleicht hat der Wind gedreht. Da …« Er fixierte Henry. »Hörst du’s?«
Henry stand stocksteif da, als wäre das eine Voraussetzung, um besser hören zu können. Dann drang die leise Geigenmusik auch an sein Ohr. Ein ehrfürchtiges Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Beide Männer genossen dieses Unerwartete, das es im Dorf nur so selten gab.
Auch auf Asads Gesicht lag ein leises Lächeln, als sei er ganz woanders, an einem wärmeren Ort und nicht im kalten, regnerischen England.
»Glaubst du, sie kann die Titelmelodie von Cats spielen?«, fragte Henry sehnsüchtig, als die Musik verklungen war. »Die würde ich unheimlich gerne hören. Wir könnten sie ja mal fragen, ob sie auch Privatauftritte machen würde.«
Die zwei Müllsäcke lagen unter einer Esche, wo sie vor dem frischen Grün des Frühlings und den kahlen Ästen der Bäume kaum zu übersehen waren. Als Matt sie auf halbem Weg zum Haus entdeckte, hielt er seinen Lieferwagen an, schaltete die Zündung ab und stieg fluchend aus. Verdammte Leute. Ihren Müll einfach so in die Gegend zu schmeißen. Irgendwas stimmte doch nicht mit der Welt, wenn die Leute sich lieber die Mühe machten, einen Kilometer weit in einen Wald reinzufahren – über diese grässliche Piste! -, anstatt ihren Müll zur regulären Müllkippe zu bringen. Der passende Abschluss eines Tags, der ebenfalls Müll gewesen war. Heute hatte es gleich bei beiden Aufträgen Probleme gegeben. Ein Zimmermann hatte sich den Daumen fast ganz abrasiert und würde sicher wochenlang nicht mehr einsatzfähig sein. Dann dieser lange, weinerliche Anruf von Theresa, die sich darüber beschwerte, dass er schon seit sechs Wochen nicht mehr »richtig« Zeit für sie gehabt hätte. Sie gehörte offenbar zu der Sorte, die keinen Wink mit dem Zaunpfahl verstand. Er hoffte bloß, dass sie ihm keine Schwierigkeiten machen würde.
Er war stehen geblieben, um sich die Hände mit einem
Lappen abzuwischen, als er den langgezogenen Ton hörte. Ein Tier, ein Vogel vielleicht, allerdings kein einheimischer. Er hielt still und lauschte. Nein, das war Musik. Irgendwas Klassisches.
Matt war viel zu schlecht gelaunt, um sich von Musik verzaubern zu lassen. Laute Musik aus dem großen Haus, auch das noch.
»Das hat mir gerade noch gefehlt«, brummte er böse, während er ins Führerhaus kletterte. Er wollte den Motor anlassen und warf einen bitterbösen Blick auf das Herrenhaus, das hinter den dicht stehenden Bäumen undeutlich zu erkennen war.
Aber anstatt den Motor anzulassen, blieb er still sitzen. Und hörte zu.
»Da ist der Docht, sehen Sie? Den müssen Sie anzünden. Sie machen hier dieses kleine Türchen auf und halten ein Streichholz rein … zumindest geht das so bei meinem, und der hier ist nicht anders, soweit ich’s sehen kann.«
Mr Granger spähte in die verschlungenen Eingeweide des Ofens. Da klopfte es plötzlich laut an der Tür. Isabel, die ihr Spiel unterbrochen hatte, als die Kinder ihr erzählten, was Mr Granger vorhatte, ärgerte sich über die Störung. Gerade jetzt, wo das Biest kurz davorstand, das Geheimnis seines Funktionierens preiszugeben.
»Erwarten Sie Gäste?«
Isabel wischte sich die Hände an ihrer Hose ab. »Ich kenne hier niemanden.« Sie rief nach oben, »Kitty? Thierry? Könntet ihr mal aufmachen? Mr Granger, könnten Sie mir das noch mal erklären? Wie war das noch gleich, wenn die Flamme gelb brennt?«
Man hörte Getrampel, dann wurde die Tür geöffnet, und schwere Schritte kamen die Treppe hinab.
»Also dem Rohr fehlt nichts«, sagte Mr Granger. »Hab
vorhin reingeschaut, da sieht man durch bis zum Himmel. Daran kann’s nicht liegen.«
Die Küchentür ging auf, und ein Mann in Arbeitskleidung trat ein. Er trug eine ausgebleichte Khakijacke mit zahlreichen Taschen, aus denen hier und da Stifte hervorschauten. Hinter ihm kamen die Kinder.
»Hallo, Matt«, sagte Mr Granger. »Sie werden doch wohl nicht schon Feierabend machen? Passt gar nicht zu Ihnen. Sie kommen doch sonst nie vorm Dunkelwerden heim. Wollen wohl mal die neuen Nachbarn beschnuppern, was? Na, da wartet Arbeit auf Sie.«
Der Mann bot
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