Der Klang des Herzens
Karriere wegwerfen … Ja sogar der
Pfarrer hatte sie umständlich auf gewisse Fallstricke aufmerksam gemacht, darunter der große Altersunterschied von zwölf Jahren, die kulturelle Kluft zwischen Franzosen und Engländern – er machte Andeutungen auf eventuelle Mätressen und die Wichtigkeit von Deodorant -, alles Dinge, die zu einem Scheitern der Ehe führen konnten.
Aber Laurent hatte nur auf sehr französische Weise mit der Schulter gezuckt. Für ihn zählte nur eins: seine Leidenschaft für das Mädchen mit der langen, wilden Goldmähne. Und Isabel durfte feststellen, dass eine Ehe, im Gegensatz zu dem, was ihre Altersgenossen zu glauben schienen, nicht zwangsläufig in Enttäuschung, Zynismus oder Kompromissen münden musste. Laurent liebte sie. Er liebte sie, wenn sie über dem Frühstück einschlief, weil sie wieder mal bis spät in die Nacht hinein die schwierigsten Griffe eines Musikstücks geübt hatte; er liebte sie, wenn das Essen, das sie für ihn gekocht hatte, mal wieder ungenießbar war. Er liebte sie, wenn sie Arm in Arm den Primrose Hill hinaufschlenderten und sie ihm dabei ein Musikstück, das sie ganz besonders mochte, vorzusingen versuchte, begleitet von heftigen Armbewegungen für Basstrommel und Tuba. Er liebte sie, wenn sie ihn um drei Uhr morgens weckte, weil sie ihn unbedingt in sich spüren wollte, seinen Geschmack auf ihren Lippen. Er führte sie in ein Hotelzimmer, in dem sie ein unvergessliches Wochenende verbracht hatten, und dort lag sie, auf dem Bett, die neue Geige, die er ihr gekauft hatte, ihre herrliche Guarneri. Er liebte sie, wenn sie vor lauter Freude darüber keine Luft mehr bekam.
Er liebte sie.
Doch schon kurz nach den Flitterwochen hatte sie zu ihrem größten Entsetzen feststellen müssen, dass sie schwanger war. Sie war nicht bereit gewesen, ein anderes Wesen in ihre Zweisamkeit hineinzulassen. Aber Laurent gestand ihr, er habe sich schon in seiner ersten Ehe Kinder gewünscht. Überwältigt
von ihrer Leidenschaft für diesen Mann beschloss sie, ihm dieses Geschenk zu machen.
Es war eine einfache Schwangerschaft gewesen. Und als das Kind, ihr Töchterchen, da war, musste sie zu ihrer noch größeren Überraschung feststellen, dass ihre Liebe zu dem kleinen Wesen geradezu überwältigend war. Sie beschloss, sich ganz ihrer Mutterrolle zu widmen; das war sie ihrem Baby schuldig. Aber das war einfach hoffnungslos, von Anfang an. Sie brachte es nicht fertig, diese mysteriöse »Alltagsroutine« einzuführen, die ein Säugling, laut Hebamme, brauchte. Der Wäscheberg wuchs ihr schnell über den Kopf, und sie konnte sich nicht mit den Spielnachmittagen anfreunden, die andere Mütter so vergnügt zu veranstalten schienen. Das war damals die einzige Zeit gewesen, in der sie mit Laurent in Streit geraten war. Sie wurde zunehmend gereizt, fühlte sich als Märtyrerin, glaubte, zu viel geopfert zu haben. Und gab ihm die Schuld dafür.
»Weißt du was? Ich würde jetzt wirklich gerne meine Frau wiederhaben«, sagte er eines Abends auf seine hochtrabende Pariser Art nach einem besonders heftigen Streit über liegengebliebenen Abwasch, ihren Mangel an Freiheit und ihr Desinteresse an Sex. Sie warf ihm das Babyphone an den Kopf. Aber als sie am nächsten Morgen die Stelle in der Wand sah, wo der Putz abgesplittert war, wusste sie plötzlich, dass sich etwas ändern musste.
Laurent hatte sie in die Arme genommen. »Ich würde es dir nie vorwerfen, wenn du wieder zu deiner Musik zurückkehren wolltest. Immerhin war das einer der Gründe, warum ich mich in dich verliebt habe.« Und nachdem sie sich mehrmals davon überzeugt hatte, dass es ihm wirklich ernst war und er sie deswegen nicht hassen würde, hatten sie sich Mary gesucht. Isabel hatte ihren Entschluss, ihr wunderschönes Baby jemand anderem anzuvertrauen, damit gerechtfertigt, dass nun alle Parteien glücklicher seien.
Außerdem war Kitty ein so gutes Kind. Sie wäre doch sicher weniger fröhlich, weniger zufrieden gewesen, wenn sie mit Mary unglücklich gewesen wäre oder ihre Mutter unbedingt gebraucht hätte. Aber alles, auch das Muttersein, hat seinen Preis; das musste sie auch in diesem Fall lernen: Wenn Kitty sich wehtat, rannte sie immer als Erstes zu Mary, selbst wenn sie, Isabel, im selben Zimmer saß. Oder wenn Laurent sich kenntnisreich mit seiner Tochter über deren Freundinnen oder irgendeine Schulveranstaltung unterhielt, die er – aber sie mal wieder nicht – besucht hatte. Und dann die Schuldgefühle,
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