Der Klang des Herzens
sie eine Art Schutzschicht verloren.
»Wir sind also Nachbarn«, sagte sie, um Fassung bemüht.
»Sie müssen in dem Haus wohnen, an dem wir auf dem Weg hierher vorbeigekommen sind. Möchten Sie vielleicht eine Tasse Tee? Ich fürchte, etwas Stärkeres kann ich Ihnen derzeit nicht anbieten. Hier ist alles noch … ziemlich durcheinander.«
Matt McCarthy schüttelte den Kopf.
»Aber das wird schon«, plapperte sie verlegen weiter, wie sie es oft tat, wenn sie es mit Menschen zu tun hatte, die besonders selbstbewusst wirkten. »Sie haben wahrscheinlich schon gemerkt, dass wir nicht unbedingt zu den praktischsten Leuten gehören … Ich muss noch viel lernen.«
Sie strich sich das lange Haar aus dem Gesicht. Ihre Stimme hatte sich zuletzt fast verzweifelt angehört, wie sie beschämt erkannte.
Er musterte sie mit einem undurchdringlichen Gesichtsausdruck. »Das wird schon«, sagte er.
Laura hatte den Gefrierschrank in der Garage soeben fertig aufgeräumt, als Matt in seinem Lieferwagen auftauchte. Sie wischte sich die Hände an den Jeans ab und ging ihm entgegen. Matt stieg aus und überraschte sie mit einem Kuss mitten auf die Lippen.
»Hallo«, sagte sie, »hast wohl einen guten Tag gehabt, was?«
»Nein«, entgegnete er, »aber er wird besser.«
Mein Gott, es war so schön, ihn wieder lächeln zu sehen. Laura hakte ihren Finger in seinen Gürtel und zog ihn zu sich heran. »Vielleicht kann ich ihn noch weiter verbessern.« Sie schmunzelte vielsagend. »Es gibt Steak zum Abendessen. Mit meiner Spezial-Pfeffersoße.«
Er brummte behaglich, ein Laut, den sie bis tief in den Magen spürte.
Er schlug die Wagentür zu, legte einen Arm um ihre Schultern und ging mit ihr auf das Haus zu. Sie ergriff die Hand,
die über ihrer Schulter lag, um den schönen Moment noch zu verlängern. »Heute sind zwei Schecks gekommen – der Pinkerton-Auftrag. Hab sie gleich eingelöst. Hast du zuvor diese Musik gehört? Anthony hat’s für einen Fuchs gehalten, der in eine Falle geraten ist.«
»Hab ich gehört. War übrigens gerade bei unseren neuen Nachbarn.«
Laura stolperte über den alten Hund, der mit einem Winseln protestierte. »Ach, Bernie … Du warst dort?«
»Dachte, es könnte nicht schaden, mal Guten Tag zu sagen. Wir sind schließlich Nachbarn.«
Sie wartete auf eine hässliche Bemerkung, auf die bitter gekräuselten Lippen. Nichts. Nicht einmal die Erwähnung des Großen Hauses schien ihn zu stören. Ach bitte, lass ihn darüber hinweggekommen sein, betete sie. Lass ihn das Ganze vergessen und wieder gute Laune haben.
»Das finde ich gut. Ich werde diese Woche auch mal rüberschauen.« Sie versuchte, sich ihre Ängste nicht anmerken zu lassen. »Matt, es ist schön, dich wieder lachen zu sehen. Wirklich schön.«
Ihr Mann blieb stehen und gab ihr einen Kuss auf die Nasenspitze. Seine Lippen fühlten sich kalt an. »Ich hab nachgedacht«, sagte er.
SECHS
E s gab nicht viele Leute aus ihrer Generation, die von sich behaupten konnten, den ersten Mann, in den sie sich verliebt hatten, geheiratet zu haben. Aber Isabel Hayden hatte sofort, als sie Laurent Antoine Delancey sah, gewusst, dass sie nicht weiterzusuchen brauchte. Diese Erkenntnis war ihr mitten in Bruchs »Romanze für Violine und Orchester« gekommen – zu ihrer großen Überraschung, denn an den bleichen, strebsamen Jünglingen im Musikkolleg hatte sie nie auch nur das geringste romantische Interesse gehabt. Überhaupt war sie bereits zu dem Schluss gekommen, wahrscheinlich sowieso nie heiraten zu wollen, da die Einbindung in eine familiäre Struktur sie zu sehr von ihrer Musik ablenken würde. Aber während sie sich durch das Solo kämpfte, musste sie an den ernsten, etwas zerknittert wirkenden Mann denken, der sie am Vorabend in ein Restaurant in Les Halles ausgeführt hatte – ein richtiges Restaurant, kein Bistro. Er hatte gesagt, noch nie habe ihn Musik so sehr bewegt wie an dem Abend, als er ihren Auftritt in Clignancourt erlebt habe. Und sie erkannte, dass es den mystischen »Einen«, von dem ihre Freundinnen schwärmten, tatsächlich gab, dass er im seltsamsten Moment und auf unerwartetste Weise auftauchen konnte.
Natürlich gab es Hindernisse – wie in jeder guten Liebesgeschichte. Eine Exfrau – eine »neurotische« Schauspielerin -, von der er nie richtig geschieden worden war, ihre Eltern, die einwandten, mit zwanzig sei sie zu jung, zu impulsiv zum Heiraten, ihre Musiklehrer, die fürchteten, sie könne eine vielversprechende
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