Der Klang des Herzens
Haus. Oder lag das nur an Matt McCarthy? Isabel rieb sich die Augen.
»Ich mache mir rasch eine Tasse Tee«, verkündete sie.
»Wo warst du?«
Ihr Vorsatz, nicht mehr mit ihrer Mutter zu reden, war offenbar von ihrer Neugier verdrängt worden. Isabel sah, dass Kitty bemerkte, wie müde ihre Mutter war, und sie errötete, fast als hätte sie sich damit verraten.
»In London. Ich erzähl’s euch gleich.«
Als sie mit ihrem Tee wieder auftauchte, hatten die Kinder den Fernseher ausgeschaltet und saßen aufmerksam da. Bei ihrem Eintreten fuhren sie auseinander, als hätten sie etwas miteinander zu tuscheln gehabt, das sie nicht hören durfte. Bloß, dass es ein einseitiges Getuschel gewesen sein musste, denn ihr Sohn redete ja nicht.
Isabel schaute ihnen in die Augen und verkündete: »Wir können wieder nach London zurück.«
Sie war sich zwar nicht ganz sicher, was sie eigentlich erwartet hatte – tumultartigen Applaus vielleicht nicht gerade, aber doch irgendein Zeichen von Freude oder Aufregung, ein Lächeln, ein fröhliches Aufspringen. Aber sie saßen nur da und starrten sie an.
»Was soll das heißen?«, fragte Kitty, immer noch ein wenig aggressiv.
»Was ich sage. Wir können wieder nach London zurück. Wir lassen dieses Haus so weit herrichten, dass man es verkaufen kann, und dann werden wir hoffentlich genug Geld haben, um uns ein Haus in London zu kaufen, in unserer alten Gegend. In der Nähe deiner Freunde«, fügte sie hinzu.
Sie starrten sie noch immer an.
»Wahrscheinlich nicht so groß wie unser altes Haus, wir finden sicher etwas, wo wir uns wohlfühlen werden.«
»Aber … wie können wir uns das leisten?« Kitty runzelte die Stirn, drehte unbewusst eine Locke um ihren Finger.
»Darüber brauchst du dir nicht den Kopf zu zerbrechen«, wehrte Isabel ab. »Ich wollte es euch bloß sagen.«
Kitty starrte sie misstrauisch an. »Ich verstehe das nicht«, sagte sie. »Du hast doch gesagt, wir haben kein Geld. Du hast gesagt, es sei alles für die Renovierung draufgegangen. Was ist passiert?«
»Ich … ich habe unsere Finanzen geordnet. Deshalb war ich auch in London.«
»Damit kennst du dich doch überhaupt nicht aus. Ich kenne unsere Finanzen – wir haben keine.«
In diesem Moment fiel der Groschen.
Kittys Blick flog durchs Zimmer, zum Beistelltischchen, zum Schreibtisch.
»O … mein … Gott«, stieß sie hervor.
Isabel setzte ein gelassenes Lächeln auf; das hatte sie geübt. Ein Lächeln, das ihren Kindern nichts von dem verriet, was sie durchgemacht hatte, wie viel es sie gekostet hatte, dem Händler das Instrument auszuhändigen, ihre inneren Qualen. Ihr kam es vor, als hätte sie eines ihrer Kinder weggegeben.
»Du hast sie doch nicht verkauft?«
Isabel nickte.
Kitty brach in hysterisches Schluchzen aus. »O nein!«, schrie sie, »o nein! Und ich hab dich dazu gebracht!«
Isabels Lächeln erlosch.
»Ich wollte doch nicht wirklich, dass du sie verkaufst! Ich weiß doch, was sie dir bedeutet. Jetzt wirst du todunglücklich sein und mich für immer hassen. Ach, Mum, es tut mir so leid.«
Isabel ließ sich schwer aufs Sofa sinken und nahm ihre Tochter in die Arme.
»Nein«, sagte sie und streichelte ihr übers Haar, »du hast recht. Dieses Instrument war eine Extravaganz, die wir uns nicht mehr leisten konnten. Außerdem hat Mr Frobisher einen Ersatz für mich gefunden – viel billiger und natürlich nicht ganz so gut, aber mit einem netten Klang. Er richtet sie für mich her und schickt sie mir nächste Woche.«
»Du wirst sie hassen«, sagte Kitty gedämpft.
»Nein, werde ich nicht«, widersprach Isabel, obwohl sie wusste, dass ihre Tochter recht hatte. »Kitty, ich habe einen großen Fehler gemacht, und den mache ich jetzt wieder gut«, erklärte sie fest. »Meine Musik wird von jetzt an den zweiten Platz einnehmen. Und je eher wir genug Geld für die Renovierung
dieses Hauses zusammenbekommen, desto schneller können wir wieder hier ausziehen.«
Erst jetzt bemerkte sie Thierrys Miene. Er sah alles andere als erfreut aus. »Du willst doch nach London zurück, oder, Thierry? Das wünschst du dir doch?«
Stille. Dann schüttelte ihr Sohn langsam den Kopf. Isabel starrte erst ihn an, dann Kitty. »Thierry?«, fragte sie ratlos.
»Nein«, sagte er da mit leiser, aber fester Stimme.
Isabel schaute Kitty an, die ihr auf einmal nicht mehr in die Augen schauen konnte.
»Eigentlich«, begann Kitty zögernd, »eigentlich gefällt’s mir hier ganz gut …« Sie warf einen
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