Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso
die Ferne, weit aufs Meer gerichtet. Als die Tür geöffnet wurde, zuckte sie so sehr zusammen, dass sie fast ihren Kaffee vergossen hätte. Louise sah sie einige Sekunden lang direkt an. Dann trat sie wortlos ein und goss sich ebenfalls einen Kaffee ein. Helena schaute wieder aus dem Fenster. Niemand konnte wie Louise mit einem einzigen Blick eine so lähmende Mischung aus Minderwertigkeitskomplex und Lustlosigkeit hervorrufen. Klopfenden Herzens nahm sie ihren Mut zusammen und setzte zu der Frage an, die sie einfach stellen musste. Aber Louise kam ihr zuvor.
»Helena, ich weiß … aber es hat keinen Sinn, jetzt auch noch an der Wunde zu rühren.«
Helena starrte Louise an, die fast ihr ganzes erwachsenes Leben ihre enge Freundin gewesen war und ihr jetzt so fremd vorkam.
»Du weißt also, was ich denke, Louise? Das ist erstaunlich! Denn selbst ich weiß es nicht. Ich habe mir über diese Sache die ganze Nacht den Kopf zerbrochen, und meine Zweifel werden immer größer.«
Louise wandte den Blick ab, ohne etwas zu entgegnen. Helena konnte die Sache aber nicht auf sich beruhen lassen. Mit leiserer Stimme fuhr sie fort: »Gestern am Steg … «
»Nein, Helena«, fiel ihr Louise ins Wort und sah sie energisch an, »sei sehr vorsichtig mit dem, was du jetzt sagst. Und vor allen Dingen solltest du genau nachdenken, bevor du mit der Polizei redest. Es gibt eine Person, die so zerbrechlich ist, dass sie dem Druck vielleicht nicht standhält, und dann weiß ich nicht, was geschieht.«
»Hast du mit ihr gesprochen?«
»Ich?«, fragte Louise entgeistert. »Glaubst du im Ernst, sie würde auf mich hören?« Mit gequälter Miene trank sie einen Schluck Kaffee. »W enn sie auf jemanden hört, dann auf dich.«
»Ha!«, erwiderte Helena und lachte trocken. »Sie wird mir nie verzeihen. Nie.«
Louise sah sie unsicher an. Helena machte eine abwehrende Handbewegung. »Ich habe keine Kraft, jetzt darauf einzugehen. Ich muss mit den Konsequenzen für den Rest meiner Tage leben. Und darum geht es eigentlich nicht.«
»W orum geht es dann?«, fragte Louise. »W arum sollte ein unwiderrufliches Ereignis eigentlich noch eine Rolle spielen? Raoul ist tot. Es geht nicht mehr um ihn. Es geht um uns.«
Sie verstummte, als die Tür geöffnet wurde und Caroline in die Küche trat. Ihr Gesicht war grau, der Blick erschöpft, ihr Haar fiel ihr ungekämmt in die Stirn. Sie trug dieselben Kleider wie am Vortag. Vermutlich hatte sie in ihnen geschlafen, falls sie überhaupt geschlafen hatte.
»Caroline«, begann Helena vorsichtig und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. »Caroline, setz dich zu mir.«
Aber Caroline schien ihre Schwester nicht zu hören. Sie ließ sich auf den nächsten Stuhl sinken und starrte vor sich hin.
Louise neigte den Kopf zur Seite und versuchte, ihr in die Augen zu sehen. »V ielleicht solltest du ja duschen und dich umziehen. Diese Kleider … « Sie unterbrach sich, um eine halbwegs taktvolle Formulierung zu finden.
»W as ist mit meinen Kleidern?«, erwiderte Caroline mit ihrer tiefen Stimme und betrachtete ihre Arme und Beine.
»V ielleicht solltest du sie sicherheitshalber in die Waschmaschine tun … « Louise versagten wieder die Worte. Sie sah Helena Hilfe suchend an. Aber diese schüttelte nur den Kopf.
Caroline schluckte und sah erst Helena und dann Louise an. »Sicherheitshalber? Falls noch etwas von Raoul an meiner Haut klebt? Meintest du das?«
Niemand antwortete.
»Ich werde mich nie wieder waschen«, fuhr Caroline mit schwacher Stimme, aber doch mit Nachdruck fort. »Ich werde mich nie mehr umziehen. Jedenfalls nicht, solange ich noch seinen Duft spüre.«
»Aber Caroline … «, begann Louise.
Caroline fiel ihr ins Wort. »Da gibt es kein Aber, Louise. Es gibt im Augenblick überhaupt nichts. Ich kann nicht mehr. Kapier das doch endlich!« Ein verzagtes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Nicht nach dem, was gestern geschehen ist. Alles ist meine Schuld, und der Schmerz betäubt mich so, dass ich überhaupt nichts mehr empfinde. Es spielt keine Rolle, was wird, denn mein Leben ist ohnehin zu Ende. Ich … brauche also nicht einmal Angst zu haben.«
»Hör sofort auf! Du weißt nicht, was du sagst, Caroline. Jetzt musst du dich zusammennehmen. Hörst du? Du kannst dich nicht so gehen lassen, solange wir die Polizei hierhaben. Das hilft niemandem. Am allerwenigsten dir selbst.«
Caroline schüttelte ratlos den Kopf. Sie begriff nicht, was ihre Schwester
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