Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso
vermutlich kaum zuträglich sein. Sie rief Lina erneut an, aber da hatte bereits Ingrid zugesagt, und so bestellten sie einen Tisch im Prinsen. Statt also den Plan sausen zu lassen, hatte sie daraufhin um sieben Uhr einen ersten Drink im Sturehof vorgeschlagen.
Ihr letzter Gedanke, als sie gegen drei Uhr nachts ins Bett schwankte, und ihr erster Gedanke, als sie die Augen wieder öffnete, galt der Begegnung mit Raoul. Es ging jetzt nur noch darum, die Stunden bis dahin durchzustehen. Steifbeinig begab sie sich unter die Dusche und ließ sich eine Viertelstunde das heiße Wasser ins Gesicht laufen. Sie streckte die Hand nach der Zahnbürste aus und schrubbte sich den Belag von den Zähnen. Die Zahnpasta lief ihr schäumend über Kinn und Brust.
Kaum hatte sie die Dusche verlassen und ihr frisch gewaschenes Haar turbanartig in ein Handtuch gewickelt, klingelte es an der Tür. Mit einer raschen Bewegung hüllte sie sich in den Bademantel, rannte zur Tür und öffnete. Vor ihr stand ein kleines Mädchen mit einer Zahnlücke und zwei straffen Zöpfen, ungeduldig und zappelig.
»Kann ich Baby jetzt holen? Mama hat gesagt, dass es zehn Uhr ist, und dann darf man klingeln. Wo ist er?«
Die weiße, wuschelige Katze war bereits zur Tür hinausgeschlichen und drückte sich an die zu weite Strumpfhose des Mädchens. »Baby, Baby! Komm, Süßer. Wie süß er ist.«
Anna hatte hinter der Tür bereits die Katzensachen bereitgestellt.
»Hier sind der Korb, das Katzenklo, Sand und Futter für eine Woche. Vermutlich bin ich aber schon am Samstag wieder zurück. Hab’s nett. Tschüs, Baby!«
Sie hielt dem ungeduldigen Mädchen den Korb hin, und es drückte ihn glücklich und erfüllt von einem Gefühl der Verantwortung an die Brust. Anna ging in die Hocke und vergrub ihr Gesicht in der wolligen Katze. Diese befreite sich, flitzte quer über den Treppenabsatz und verschwand durch die offene Tür der gegenüberliegenden Wohnung. Anna wollte das Mädchen noch rasch in den Arm nehmen, aber es eilte der Katze bereits hinterher und rief, als es in seiner eigenen Diele stand: »T schüs«, ehe sich die Tür hinter ihm schloss.
Anna stand lange in ihrer Kleiderkammer und überlegte, was sie anziehen sollte. Sie öffnete ihre bereits gepackte Reisetasche, tauschte ein paar Pullover aus und packte noch einen weiteren Push-up- BH ein. Den Rest des Morgens verbrachte sie vor dem Spiegel, um eine Kombination nach der anderen anzuprobieren, bis sie gefunden hatte, worin sie sich am wohlsten fühlte: Enge Jeans, ausgeschnittener Pullover und Stiefel mit hohen Absätzen.
Drei Tage hatte sie vor sich, drei Tage und alle Zeit der Welt mit Raoul. Sie würden nebeneinandersitzen und spielen. Genau wie beim Festival in Cannes vor vier Jahren. Raoul hatte Louise für ein paar Kammermusikkonzerte dorthin eingeladen. Als eine der anderen Geigerinnen krank geworden war, hatte Louise sie angerufen und gefragt, ob sie kurzfristig einspringen und die Brahmssextette und zwei Flötenquartette von Mozart spielen könne. Ohne zu zögern hatte sie zugesagt, obwohl sie daraufhin für zwei Vorstellungen von »Figaros Hochzeit« mit der Hofkapelle Vertretungen hatte organisieren müssen. Mit zehntausend Kronen aus der eigenen Tasche hatte sie einen Kollegen überreden können, sie zu vertreten, ohne sich erst mit der Leitung der Oper abzusprechen. Das hatte ein Mitarbeitergespräch mit dem Orchesterchef zur Folge gehabt. Einfach eigene Stellvertreter zu engagieren sei vollkommen unakzeptabel. Das wusste sie zwar sehr gut, aber sie hatte es nicht riskieren wollen, einen ablehnenden Bescheid zu erhalten, und ihnen deswegen eine fertige Lösung zu ihren Bedingungen präsentiert. Nach vielen Entschuldigungen gelang es ihr schließlich, den Orchesterchef zu besänftigen. Sie hatte ihm eine Produktion für Kinder mit 35 Vorstellungen für die folgende Spielzeit versprechen müssen. Aber das war es wert gewesen. Es war jede Öre und jede Demütigung wert gewesen, wieder mit Raoul spielen zu dürfen. Die vier Tage am Mittelmeer hatten ihr neue Energie gegeben. Nicht weil eine nennenswerte Veränderung in ihrem Verhältnis zu Raoul eingetreten wäre, sondern weil sie wieder Appetit auf das Leben bekommen hatte. Sie hatten zusammengearbeitet, gemeinsam zu Abend gegessen und die Abende mit den anderen Musikern, unter ihnen auch Joy, Raouls japanisch-amerikanische Ehefrau und gefeierte Flötistin, an einer Bar an der Strandpromenade beendet. Sie hatte Joy damals zum ersten
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