Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso
dem Kofferraum, während der Mann auf dem Rücksitz noch einige Minuten sitzen blieb und dann mit einem Geigenkasten in der Hand ausstieg. Die »Nachtigall«, seine unersetzliche Guarneri del Gesù von 1743 , trug er immer selbst.
Er war mittelgroß, die halblangen Locken aus der hohen Stirn gekämmt. Einige silbergraue Strähnen verrieten, dass er nicht mehr ganz jung war. Über den braunen Augen wölbte sich ein Paar buschige Brauen, und eine eckige, randlose Brille saß auf seiner leicht sommersprossigen Nase. Seine volle Unterlippe wirkte etwas trocken und rissig. Ein Eckzahn hatte ein Gold-Inlay, was zusammen mit dem Dreitagebart seiner sonst eher intellektuellen Erscheinung etwas von einem Piraten verlieh. Unter seinem anthrazitgrauen Jackett trug er einen bordeauxroten Rollkragenpullover aus Kaschmirwolle. Außerdem hatte er sich einen grüngrau karierten Wollschal um den Hals gewickelt, der im Wind flatterte. Seine braune Breitcordhose war nach der fünfzehnstündigen Reise an den Knien ausgebeult. Nichts an ihm verriet den Schweden, er schien eher in ein schickes, linkes Café im Marais zu passen.
»Meine Güte, wie alt er geworden ist«, flüsterte Anna Helena ernst zu. »Er ist wahnsinnig gealtert.« Helena warf ihm einen raschen Blick zu und stellte fest, dass er fitter wirkte als bei ihrer letzten Begegnung. Vielleicht ein wenig ramponiert, aber so ungemein gut aussehend. Viel zu verführerisch. Sie schluckte, schaute weg, lehnte sich an die Kabine und las konzentriert alte SMS in ihrem Handy.
Louise empfing Raoul mit einer Umarmung und Küsschen auf die Wangen. Raoul betrachtete ihre Hand und tat theatralisch sein Mitgefühl kund. Louise zuckte stoisch mit den Achseln, und er umarmte sie erneut.
»Jedenfalls wirkt er ziemlich relaxed«, meinte Anna und versuchte seinen Blick aufzufangen.
»Ich begreife nicht recht, warum ausgerechnet Raoul einspringen muss. Louise hätte doch auch jemanden hier in Stockholm finden können. Ich kenne viele, die die Aufnahme hätten übernehmen können. Es wirkt etwas übertrieben, ihn extra aus New York kommen zu lassen«, meinte Helena, »oder was findest du?«
»Natürlich bin ich etwas nervös.« Anna versuchte, ihrem Haar mehr Fülle zu geben. »Uns verbinden so viele starke Gefühle. Aber auch eine große Trauer.«
Sie zündete sich eine Zigarette an, blies den Rauch in die Luft, seufzte laut und zog dann noch zwei weitere Male rasch an der Zigarette. »W arum habe ich bloß diesen letzten Drink noch genommen!«
Vom Steg aus entdeckte Raoul Anna und Helena, winkte fröhlich und ging auf das Boot zu. Als sei seine plötzliche Greifbarkeit zu viel für Anna, drückte diese sich rasch an Helena.
»O Gott, das wird mir zu viel.«
Aber dann schob sie Helena ebenso überraschend von sich weg, machte einen Schritt auf die Reling zu und beugte sich zu Raoul vor, um ihm einen Willkommenskuss zu geben. Das Schmatzen ging im Lärmen der Motoren unter, die gerade angelassen wurden.
»W ie schön, dass du kommen konntest, Raoul!«, rief Anna, um das Brummen der Motoren zu übertönen. »Das wird super. Wie geht es Joy?«
»Sie lebt«, antwortete Raoul neutral.
»Grüß sie von mir«, erwiderte Anna und trat beiseite, um Louise und Raoul vorbeizulassen, die an Bord eilten, als Caroline die Motoren aufheulen ließ. Helena ging nach vorne und machte die Leinen los, um die Konfrontation so lange wie möglich hinauszuzögern. Raoul nickte ihr wortlos zu, und sie verzog nur leicht die Lippen. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie sich Caroline in der Steuerkabine über die Seekarten beugte. Ihr war anzusehen, dass sie allein bleiben wollte, und Helena war klar, dass sie gerade deswegen nicht allein bleiben sollte. Sie ging zu ihrer Schwester in die Steuerkabine und warf einen raschen Blick über die Schulter, um sich zu versichern, dass sie auch ungestört waren. Caroline drehte sich nicht um, als sie die Kabine betrat, aber ihren ruckartigen Bewegungen war anzumerken, dass ihr nicht wohl in ihrer Haut war.
»Caroline«, begann Helena mit fester Stimme, aber doch so begütigend wie möglich. »Ist alles in Ordnung?«
Caroline beachtete sie überhaupt nicht.
»W ie geht es dir?«
»Super.«
Helena schüttelte den Kopf. »Du siehst etwas blass aus.«
»Ja, hattest du etwas anderes erwartet?«
Helena strich ihr langsam über den Rücken. Caroline erstarrte und entzog sich ihr.
»W ie ist es gelaufen?«
»Gar nicht.«
»Aber ich habe dir doch ein Rezept
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