Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso
irgendwann, Helena?«, hörte sie plötzlich Louises ungeduldige Stimme.
Ertappt richtete sich Helena auf und fragte sich, wie lange ihre Tagträume wohl gedauert hatten. Sie stimmte schnell ihre Bratsche nach Raouls A und versuchte sich gleichzeitig ein Bild von seinem Gemütszustand zu machen. Raoul sah sie gar nicht.
Sie begannen mit dem zweiten Satz. Raoul hatte die Beine gekreuzt und saß leicht zurückgelehnt, spielte aber mit äußerster Genauigkeit. Mit seiner selbstverständlichen Autorität gelang es ihm, gleichzeitig den anderen Musikern zuzuhören und das Werk voranzutreiben. Finger und Bogen bewegten sich automatisch über die Geige. Ab und zu unterbrach er, um leise und freundlich eine Ansicht über ihr Zusammenspiel vorzubringen. Der aufgeblasene Führungsstil war verschwunden. Helena fragte sich, worauf diese Veränderung beruhte, aber nachdem sie eine Stunde lang gespielt hatten, begann sie sich ebenfalls zu entspannen. Sie konnte es fast genießen, mit Raoul zusammen zu musizieren, wenn sie es sich erlaubte, ihm zuzuhören und nicht zu viel nachzudenken. Es war leicht zu verstehen, warum es Raoul so weit gebracht hatte. Sie hatte einen Musiker vor sich, der extrem begabt, technisch vollendet und mit künstlerischer Fantasie ausgestattet war. Diese Kombination war selten. Helena verstand jedoch nicht, warum sich diese vielseitige Tiefe nicht auch in ihm widerspiegelte, wenn er die Geige nicht in der Hand hielt. Als besäße er zwei Persönlichkeiten, eine farbige, strahlende und eine unerlöste, frustrierte.
Louise entspannte sich ein wenig, als sie sah, dass Caroline spielte, ohne provozieren zu wollen. Ein Schimmer umgab ihr wogendes Haar und ihr rosiges Gesicht, als die Sonne ins Studio schien. Louise merkte gar nicht, dass sie aufgehört hatte zuzuhören. Für sie gab es nur noch Caroline. Als sie ihre Geliebte betrachtete, verschwand um sie herum alles. Da spürte sie kaum noch die nagende Unruhe in ihrem Inneren.
In der Pause öffnete Caroline die Schiebetür, trat ins Freie und setzte sich auf eine Bank. Sie zog ihre Zigaretten hervor und zündete sich eine an. Louise folgte ihr. Ein kurzer Wortwechsel auf der Terrasse endete damit, dass Caroline Louise demonstrativ Zigarettenrauch ins Gesicht blies. Mit einer energischen Handbewegung schloss Louise die Terrassentür. Im Studio befanden sich noch Anna und Helena, die nicht hören konnten, was draußen gesprochen wurde. Caroline sprang auf und gestikulierte, die Zigarette zwischen den Fingern, heftig. Louise versuchte, sich ihr zu nähern und ihr eine Hand auf die Schulter zu legen, aber Caroline schüttelte sie sofort ab.
»Ich wette, sie will nicht, dass die werdende Mutter raucht«, meinte Helena. Anna stellte sich neben sie, stemmte die Arme in die Seiten und betrachtete den stummfilmartigen Auftritt vor den Panoramafenstern. »Gewissermaßen ist das ja zu verstehen … «
Anna drehte sich um und suchte mit den Augen nach Raoul. Dieser befand sich, sein Handy am Ohr, auf dem Weg von der Küche auf die Terrassentür zu. Er hielt inne, als er des Streites gewahr wurde, und kehrte um. Mit hastigen Schritten begab er sich wieder in die Küche. Anna und Helena folgten ihm mit dem Blick. Sie sahen sich an, hatten aber beide keine Lust, die Situation zu kommentieren. Also kehrten sie an ihre Plätze zurück und warteten darauf, dass die Arbeit wieder beginnen würde. Jetzt waren auch die Stimmen von der Terrasse zu hören. Obwohl sich keine Worte ausmachen ließen, war der Tonfall eindeutig.
»T rouble in paradise«, murmelte Anna. Der Gedanke störte sie.
Plötzlich klingelte Louises Handy, und sie ging ans andere Ende der Terrasse, weil dort der Empfang besser war. Caroline trat die Zigarette mit ihrem Stiefel aus und kam wieder ins Studio.
»Dumme Kuh!«, murmelte sie und griff wieder zu ihrem Cello. Gewohnheitsmäßig spielte sie ein paar schwere Passagen ihres Schumann-Konzerts und sprach gleichzeitig leise vor sich hin.
Wenig später trat Louise ein und ließ ihr Handy zuschnappen.
»Also«, sagte sie. »Das war Jan. Offenbar herrscht in Furusund ein halber Orkan, und deswegen kommen sie auch heute nicht mit dem Boot raus. Wir können nur hoffen, dass sie morgen früh auftauchen, weil wir die Aufnahme sonst vergessen können.«
Svalskär war keine große Insel. Auf dem Uferweg dauerte es fast eine halbe Stunde, die Insel zu umrunden, weil man zwischen den Wegabschnitten über die Felsen klettern musste. Der nördliche Teil der
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