Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso
hinter mich bringen. Raoul muss am Montag wieder in New York sein. Wir müssen also morgen oder spätestens Sonntagvormittag fertig werden.«
»Raoul … «, sagte Anna leise. Louise veränderte ihre Stimmlage.
»W eißt du, wo Caroline steckt? Sie sagte, sie wollte üben, aber ich finde sie nicht. Ihr Cello liegt im Studio.«
»Keine Ahnung. Hast du versucht, sie auf dem Handy zu erreichen?«
»Ja. Sie geht nicht dran. Ich habe es klingeln lassen, aber dann springt nur die Mailbox an.«
In diesem Augenblick entdeckte Anna etwas, was sich durch den Sturm bewegte. Sie drückte die Stirn an die Fensterscheibe und sah Raoul über die Felsen am Ostufer springen. Er schien sich auf das Atelier zuzubewegen.
»Ich übe jetzt, kann ich dich nachher anrufen?«, sagte Anna und beendete das Gespräch. Ihr Herz pochte heftig, aber das Kondenswasser des Fensters kühlte ihr gerötetes Gesicht. Sie fuhr sich durchs Haar und befeuchtete mit der Zungenspitze ihre Lippen. Er war auf dem Weg zu ihr. Anna lächelte. Sie hatte sich also nicht geirrt, als sie eine neue Stimmung zwischen ihnen gespürt hatte. Nicht dieselben leidenschaftlichen Gefühlsstürme wie früher, aber eine warme Nähe. Es gab so viel, worüber sie sprechen mussten. Er zeigte ihr so deutlich, dass er ihr vertraute und mit ihr über Dinge reden konnte, die ihm wichtig waren. Von dort aus würde sich ihre Gemeinschaft wieder zu einer tieferen Liebe entwickeln.
Anna klopfte ans Fenster und winkte, um Raouls Aufmerksamkeit zu wecken, aber er sah sie nicht. Vielleicht war das Klopfen bei dem Sturm nicht zu hören? Jetzt zog er sein Handy aus der Tasche, um zu telefonieren. Sie hielt ihn währenddessen mit dem Blick fest. Süß! Dass er sie anrief, obwohl er nur zwanzig Meter von dem Haus entfernt war!
Aber Annas Handy klingelte nicht. Jetzt sah sie, wie Raoul begann, in seines zu sprechen. Die kleine Freude, die sie empfunden hatte, verebbte. Das war natürlich schon wieder seine verdammte Frau! Oder vielleicht … Anna ging ihre Telefonliste durch, bis sie auf Carolines Nummer stieß. Nach kurzem Zögern drückte sie mit zitterndem Daumen auf die Taste mit dem grünen Hörer. Besetzt. Jetzt sah sie auch, wie Raoul von der lebhaften Unterhaltung mitgerissen wurde. Er warf den Kopf zurück, lachte und machte kehrt. Anna drückte ihr Gesicht ans Fenster, aber er war rasch aus ihrem Blickfeld verschwunden. Da rannte sie auf die Tür zu und öffnete sie rasch einen Spalt. Der Wind fuhr in ihre Locken, und sie schob sie wütend hinter die Ohren. Durch den Türspalt sah sie Raoul zur Sauna oberhalb des Landungsstegs verschwinden. Er drehte sich einige Male um, als wolle er sich davon überzeugen, dass er nicht verfolgt wurde. Aus dem Schornstein der Sauna rauchte es.
Helena trank bereits ihren vierten Gin Tonic, obwohl es erst drei Uhr war. Sie hatte sich neben der Hausbar im Salon verschanzt und probierte systematisch die verschiedenen Ginsorten durch. Es klopfte leise an der halb offenen Tür des Salons, und Louise trat ein.
»Komm rein!«, polterte Helena. »Und bring ein paar Erdnüsse oder irgendetwas anderes Gutes, Fettes und Allergieauslösendes mit.« Sie lachte bitter über ihren eigenen Scherz, und es hallte in ihrem Glas wider, als sie schlürfend trank.
Louise nahm im Sessel ihr gegenüber Platz. Sie schlug die Beine übereinander und hielt ihren Verband in die Höhe. »Bist du betrunken, Helena?«
»Nein … nur etwas angesäuselt … «, stöhnte Helena und legte den Kopf auf die Armlehne des Sofas. »Du siehst selbst etwas mitgenommen aus.«
Louise öffnete den Mund, zögerte dann aber. Es galt, die richtigen Worte zu wählen und Helena nicht zu viel zu verraten. Oder war die Situation so offensichtlich, dass sie sich nur lächerlich machte, wenn sie versuchte, Carolines seltsames Verhalten zu entschuldigen? Louise nahm Helena das Glas ab, und diese versuchte sich benommen aufzurichten. Mit hochgezogenen Brauen sah sie zu, wie Louise ihren Drink leerte, und warf sich dann ermattet auf das Sofa zurück.
»Es gibt noch Tonic im Kühlschrank«, seufzte sie und schloss die Augen.
»W o ist Caroline?«, fragte Louise mit brüchiger Stimme.
»Keine Ahnung, nicht die geringste … halt, doch! Sie ist vermutlich auf dem Zimmer. Ich glaube, ich habe sie mit ihren irrsinnigen Absätzen die Treppe hochgehen und die Tür zuknallen hören, dass die Farbe vom Stuck fiel.«
»So habe ich sie noch nie erlebt.«
Helena schniefte und atmete dann lautstark
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