Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso
Schmerztablette genommen hatte. Aber jetzt erwachte sie davon, dass eine Tür geschlossen wurde. Ihre Hand schmerzte wieder, und sie biss sich auf die Unterlippe, um nicht zu weinen. Ihre Glieder waren steif von dem plötzlichen Erwachen, als hätte sich jeder Muskel verkrampft. Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Sie war mit der Uhr am Handgelenk eingeschlafen, und das Goldarmband hatte auf ihrer alternden Haut einen roten Abdruck hinterlassen. Die Zeiger standen auf halb zwölf. Widerwillig drehte sie den Kopf zur Seite, um sich von dem zu überzeugen, was sie bereits wusste. Die Betthälfte neben ihr war leer. Das Kissen war glatt und ohne Abdruck.
Sie hielt den Atem an und lauschte angestrengt nach weiteren Geräuschen, aber hörte nichts als das Rauschen der Bäume und das Knarren des Stegs. Vielleicht hatte sie sich etwas eingebildet?
Mit großer Mühe erhob sie sich und trat ans Fenster Richtung Steg, ohne Licht zu machen. Die Meeresoberfläche kräuselte sich, und die an dem massiven Holzsteg vertäuten Boote schaukelten. Niemand war dort zu sehen. Sie trat ans Nordfenster. Weit entfernt zwischen den Kiefern sah sie, dass im Atelier Licht brannte. Die Reaktion erfolgte sofort. Ungeordnete Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Nur einen Gedanken konnte sie greifen: Caroline! Caroline!
Sie zog ihre Jeans unter dem Nachthemd an und streifte einen Lambswoolpullover über. Vorsichtig öffnete sie die Tür und schloss sie ebenso leise wieder. Dann schlich sie die Treppe hinunter. Ab und zu packte eine Windbö das Haus, und die alten Bretter knarrten. Sie schlüpfte in ihre Stiefel und öffnete die Haustür.
Kalte Herbstluft schlug ihr entgegen, als sie ins Freie trat. Sie musste sich das Haar festhalten, damit es ihr nicht in die Augen geweht wurde. Unten am Steg knarrte die Vertäuung des Targa. Der Himmel war bedeckt, und nur ein sehr schwacher Mondschein schaffte es, die Wolkenschicht zu durchdringen. Sie kannte ihre Insel und bewegte sich sicher. Nach einer Weile hatten sich ihre Augen an das Nachtdunkel gewöhnt, und die Konturen der Landschaft wurden deutlicher. Auf dem Weg zum Atelier warf sie einen Blick Richtung Studio in der leisen Hoffnung, dass Caroline dort mit ihrem Cello zu sehen sein würde. Aber das Studio war dunkel.
Als es nur noch zehn Meter bis zu dem kleinen, mit geteerten Brettern verkleideten Haus waren, blieb sie stehen. Geräusche drangen gedämpft in die Nacht. Stöhnen, leises Jammern und gebändigtes Schnauben. Worte, die nicht zu verstehen waren, aber die die Intensität dessen, was vor sich ging, offenbarten. Louise schlug sich entsetzt die Hand vor den Mund. Was sollte sie jetzt tun? Die Tür aufreißen und Zeugin des Undenkbaren werden? Aber wenn dort drinnen gar nicht Caroline war? Louise schaute wieder Richtung Atelier. Das Gebäude hatte ein Fenster zur Treppe, das Panoramafenster auf der anderen Seite ging aufs Meer. Das kleine Fenster neben der Treppe war sehr weit oben, und Louise war nur gerade einmal 160 cm groß. Sie wusste, dass sie nichts würde sehen können, selbst wenn sie sich auf die Zehenspitzen stellte. Insbesondere da sich das liebende Paar in dem Bett direkt unter dem Fenster und in der Horizontalen befand. Das Fenster aufs Meer war unerreichbar, da die Felsen dort steil ins Meer abfielen.
Sie konnte nicht umkehren, ohne sich Gewissheit verschafft zu haben. Louise sah sich nach etwas um, auf das sie hinaufsteigen konnte, und fand einen rostigen Eimer unter ein paar Brettern. Vorsichtig ergriff sie ihn mit ihrer unverletzten Hand. So lautlos wie möglich stellte sie den Eimer unter das Fenster und presste sich beim Hinaufsteigen an die Hauswand. Sie reichte gerade bis zum Rand der Fensterbrüstung und konnte, wenn sie sich auf die Zehenspitzen stellte, einen Blick durch das Fenster erhaschen.
Einige wenige Sekunden starrte sie ins Haus, dann knickte sie vor Schmerz ein. Sie biss in ihren Verband, um nicht zu schreien. Der Schmerz in der Hand war eine tröstliche Ablenkung vor dem Abgrund, der sich in ihr auftat. Mit zitternden Beinen stieg sie von dem Eimer herunter und schlich vor Schmerz gekrümmt davon, die Zähne immer noch in der Bandage verbissen. Ein Schluchzen schüttelte sie, und als sie sich ausreichend weit von dem Atelier entfernt hatte, ließ sie ihrem Schock freien Lauf. Sie beugte sich über einen Zaun und übergab sich in ein Blumenbeet. Das Bild, das sich ihr im Atelier geboten hatte, hatte sich in ihre Netzhaut eingebrannt, und die
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