Der Klang des Verderbens
noch blutunterlaufen waren, gleich gesehen, dass er seit ihrer Abreise trocken geblieben war. Verdammt, seit dem Überfall. Fünf Monate. So lange war er schon nicht mehr abstinent gewesen, seit er vierzehn war. Er konnte nicht behaupten, dass ihm das leichtgefallen wäre oder dass er es genossen hätte, aber angesichts dessen, wie viel besser es ihm ging – er war geistesgegenwärtiger, hatte einen viel klareren Kopf –, konnte er auch nicht sagen, dass er es bereute.
Baxter, die Neue, die geduldig neben dem Schreibtisch gewartet hatte, schaltete sich schließlich ins Gespräch ein. »Schön, Sie wiederzuhaben, Detective Sloan. Hier war es ganz schön langweilig.«
»Glaub ich gern«, erwiderte sie in ihrem trockenen Ronnie-Tonfall, bevor sie ihr Sykes vorstellte.
Auch bei dem gut aussehenden FBI -Agenten zog Baxter ihre Nummer mit naivem Augenaufschlag ab und klimperte mit den Wimpern, als wäre sie eine Studentin und kein D.C.P.D.-Bulle. Mark sah zu seiner Partnerin, um mitfühlend die Augen zu verdrehen, und fragte sich, wie zum Henker die Kleine
hier
gelandet war – mit der Dienstmarke eines Detectives!
Aber Ronnie schaute nicht in seine Richtung. Nicht einmal annähernd.
Stattdessen beobachtete sie, wie Baxter Sykes beobachtete. Dabei war ihr Mund verkniffen, ihre Augen schmal, und ihre ganze, eben noch völlig lässige Körperhaltung hatte sich versteift.
Scheiße. Scheiße, Scheiße, Oberscheiße.
Mark spürte, wie ihm etwas in den Magen plumpste. Etwas Schweres, Übles. Etwas, das er schon lange in Schach zu halten versuchte.
»Der Lieutenant rastet gerade völlig aus wegen dieser Demo«, erzählte Baxter, sobald sie fertig war, sich Sykes gegenüber wie ein Erstsemester zu verhalten. Großer Gott, kein Wunder, dass Ronnie ihre Partnerin bald wieder loswerden wollte.
»Demo?«, fragte Sykes.
Ronnie seufzte hörbar. »Ich hab wohl vergessen, dir zu erzählen, was unser Bürgermeister sich Tolles für die Feiertage ausgedacht hat.« Sie brachte ihn auf den neuesten Stand, erzählte ihm von Reverend Tippett und seinem großartigen Plan, dann huschte ein merkwürdiger Ausdruck über ihr Gesicht.
»Es ist eine Friedensdemonstration«, murmelte sie. »Der Marsch der Million für den
Frieden
.«
Mark schnitt eine Grimasse. Eine Million Menschen auf einem Haufen in Washington? Warum ließen sie die Verrückten nicht gleich vergiftete Limo ausschenken?
»Wahrscheinlich immer noch besser als ein Marsch der Million für Krieg und Gewalt«, flötete Baxter.
Beide ignorierten sie. Sykes schien aus Ronnies Worten noch mehr herauszulesen. »Du glaubst doch wohl nicht …«
»Möglich wär’s.«
Sie wechselten einen Blick. Einen Blick voller Sorge und Anspannung.
»Möchtet ihr der Klasse etwas mitteilen, Jungs und Mädels?«, fragte Mark und setzte auf Humor, obwohl er einen Anflug von Eifersucht verspürte. Sie waren – schon wieder – gemeinsam an einer Sache dran, und er war außen vor.
Natürlich hatte er irgendwie die ganze Zeit gewusst, dass es so kommen würde.
Seit Ronnie vor einem Jahr von ihrem OEP -Ermittler-Training aus Texas zurückgekehrt war und Jeremy Sykes zum ersten Mal erwähnt hatte, hatte Daniels etwas in ihrer Stimme wahrgenommen, das er seit mehreren Jahren nicht gehört hatte. Er hatte es nicht auf Anhieb deuten können und zuerst angenommen, es sei reine Begierde. Sie war eine leidenschaftliche Frau, ging hin und wieder mit verschiedenen Männern ins Bett – damit konnte er umgehen. Denn jeden Morgen kam sie immer wieder zurück zu ihm – zu ihrem
Partner
. Er war der, dem sie sich anvertraute, auf den sie sich verließ.
Dann war Sykes im Sommer in die Stadt gekommen. Mark hatte sie zusammen gesehen. Hatte gesehen, wie Ronnie sich in seiner Gegenwart benahm. Da war ihm klar geworden, dass es sich nicht bloß um Begierde handelte. Sykes brachte etwas in Ronnie zum Vorschein, das tiefer verborgen lag.
Vielleicht war es Hoffnung.
Vielleicht war es Liebe.
Die letzten Monate über hatte er gebetet, dass er sich irrte. Doch, er würde nur zu gerne sehen, dass sie einen Funken Optimismus wiederbekam. Der war ihr am 20. Oktober 2017 brutal entrissen worden. Sie war immer eine starke Frau gewesen, hatte schon immer Haare auf den Zähnen gehabt, aber so kalt und unbarmherzig war sie erst nach diesem Tag geworden.
Mit Hoffnung hätte er umgehen können – darüber wäre er froh gewesen, um ihretwillen.
Liebe? Liebe für einen anderen Mann?
Das war eine ganz andere
Weitere Kostenlose Bücher