Der Klang des Verderbens
Kiste.
Als er die beiden jetzt so sah, wie sie zusammen neben Marks eigenem Schreibtisch standen und stumme Zwiesprache hielten, wusste er wirklich nicht, wie er jemals wieder alles so hinbekommen sollte, wie es früher gewesen war. Vor allem wenn sie das nicht einmal wollte.
Während der letzten Monate waren ein paar Dinge vorgefallen, bei denen Mark Daniels am liebsten wieder zur Flasche gegriffen hätte. Diesem Drang hatte er widerstanden, selbst als er hatte zusehen müssen, wie seine replantierte Hand verdorrte und abstarb. Doch als er Ronnie nun sah und den Grund für ihre eifersüchtige Reaktion auf Baxter begriff – nämlich echte Gefühle für Sykes –, sprach einiges dafür, sich wieder mit seinem Namensvetter Jack Daniels anzufreunden.
Ronnie beobachtete ihn. Sie und Sykes hatten ihre Geheimkonferenz beendet, und nun richtete sie ihre dunklen, wissenden Augen auf ihn.
Sie las in ihm wie in einem offenen Buch. Das war schon immer so. Und würde auch immer so bleiben.
Sie sagte kein Wort. Ihre Miene wurde weich und schmolz zu einem Ausdruck tiefer Trauer. Und dann schüttelte sie langsam den Kopf, als wolle sie ihm bedeuten, nicht die Kontrolle zu verlieren. Sich nicht seinen Emotionen hinzugeben. Sich nicht verraten, verletzt oder verlassen zu fühlen.
»Mark?«, sagte sie leise. »Meinst du, du kannst uns dabei helfen?«
Er wusste nicht, worüber sie geredet hatten, während er in seiner Gedankenwelt versunken war und ein paar alte Hoffnungen zurückgestutzt hatte, die immer noch ihre Blüten trieben, und sich nun fragte, ob er jemals stark genug wäre, sie mit der Wurzel herauszureißen.
Er hatte nicht das Recht, sich verraten zu fühlen, das wusste er. Sie hatte ihm nie etwas vorgemacht, ihm nie vorgegaukelt, dass sie mehr für ihn empfand als die tiefe Freundschaft zu ihrem Partner. Vielleicht stellte er für sie sogar einen Ersatz für die großen Brüder dar, die sie verloren hatte. Es war pures Glück, dass er bisher die trügerische Hoffnung aufrechterhalten durfte, sie könne es sich irgendwann anders überlegen.
Aber das würde nicht passieren. Sie würde es sich nicht anders überlegen. Ob Sykes nun blieb oder ging, spielte dabei keine Rolle.
Er, Mark, hatte diesen Gesichtsausdruck bei ihr noch nie in seiner Gegenwart oder der eines anderen Mannes gesehen. Sie war der Typ Frau, der sich einmal verliebte und dann nie wieder. Dafür hatte sie beinahe dreißig Jahre gebraucht, und nun gab es keinen Weg zurück.
Er konnte das anerkennen, damit leben und versuchen, die besondere Verbindung zu bewahren, die zwischen ihnen herrschte.
Oder er konnte sich wie ein bockiges Arschloch benehmen, hier herausstürmen, das alles zur Hölle wünschen und ihr zu verstehen geben, dass er gesehen hatte, verstanden hatte und es nicht akzeptieren würde.
Sie schauten einander in die Augen. Von der Seite spürte er auch Sykes’ durchdringenden Blick. Baxter, die die Spannung im Raum endlich registrierte, hörte auf zu reden, trat ein paar Schritte zurück und beobachtete sie neugierig.
Bitte.
Bitte.
Sie sprach es nicht aus. Brauchte sie auch nicht. Er sah es in ihren Augen.
Und wegen dieser Augen fällte er schließlich seine Entscheidung. Ronnies dunkle, harte Augen, die für ihn nicht ein einziges Mal weich geworden waren, standen voller Tränen. Sie blinzelte rasch.
Sie weinte nie. Seine Partnerin weinte
nie
.
Aber nun stand sie kurz davor, Tränen zu vergießen, bei der Vorstellung, das zu verlieren, was sie beide hatten.
Seine Hand schmerzte. Ihm wurde flau im Magen. Sein Herz blutete.
Und dann tat er das Einzige, was er tun konnte.
»Natürlich helfe ich dir, Partnerin. Was immer du willst, jederzeit.«
12
Vierundzwanzig Namen.
Vierundzwanzig echte Möglichkeiten, den Mann zu finden, der bereits drei Menschen getötet hatte und noch weitermorden wollte.
Vielleicht sogar genau hier in Washington, gegen Ende der Woche.
Ronnie wurde das Gefühl nicht los, dass ihr Täter sie von vornherein hierher zurückgeführt hatte. Wenn er seine Meinung über die Friedensbewegung klarmachen wollte, gäbe es dafür einen geeigneteren Zeitpunkt als bei der Demonstration am Freitag? Und wer gäbe ein besseres Ziel ab als der Mann, der noch lauter für diese Ideale eintrat als Dr. Needham?
Reverend Darren Tippett war sozusagen aus der Versenkung einer Gemeinde in Alabama zum Anführer eines nationalen Kreuzzuges emporgestiegen. Er hatte seine eigene Fernsehsendung, eine Megakirche, die jeden Sonntag
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