Der Klang des Verderbens
wahrscheinlich –, dass er sein Äußeres nach seiner Ankunft in Washington verändert hatte.
»Keine Kamera. Der Automat war so ein Billigteil für den schnellen Profit.«
Verflucht.
»Wir haben Teams losgeschickt, die in der Gegend von Tür zu Tür gehen und sein Bild herumzeigen. Hoffentlich hat ihn jemand gesehen.«
Hoffentlich. »Und wenn dabei nichts herauskommt?«
»Wir gehen davon aus, dass morgen der große Tag ist.«
Ja, ja, taten sie das nicht alle? Und genau das machte sie erst
richtig
nervös.
»Sir«, sagte sie, als ihr plötzlich etwas einfiel. »Das ist vielleicht etwas gewagt, aber ich habe eine Idee.«
»Wird mir diese Idee gefallen?«
»Daran zweifle ich, Sir«, erwiderte sie aufrichtig. »Wie gesagt, es ist ziemlich gewagt.«
»Da wir seit Tagen erfolglos in dieser Stadt nach dem Verrückten suchen, bin ich geneigt, es mit einer gewagten Idee zu versuchen.«
Sie erzählte ihm von ihrer Überlegung. Daniels und Sykes hörten ihr ebenfalls zu.
Einen Moment lang sagte keiner etwas, dann sagte Ambrose: »Alles klar. Legen Sie los.«
Nationalfriedhof Arlington. Begräbnisstätte und Park zugleich, ein Ort der Trauer und eine Touristenattraktion.
Washington war gewiss eine Stadt der Widersprüche.
Ronnie saß in einem Golfmobil, hinterm Steuer einer der Parkwächter, und ließ sich in einer kurzen Tour über das Gelände fahren. Natürlich war sie hier früher schon gewesen, aber sie wollte sich die Anlage von einem Experten zeigen lassen. Er hatte sie bereits zum Grabmal des unbekannten Soldaten gekarrt, das rund um die Uhr von einem US -Marine bewacht wurde – Tag und Nacht, bei Sonne und bei Regen, das ganze Jahr über. Dann vorbei am Grab von JFK und Präsident Turner – Letzterer war am 20. Oktober getötet worden. Sie hatte den Blick abgewandt, als sie an der anderen Gedenkstätte für den 20. Oktober vorbeigekommen waren, an der zufällig ausgewählte, nicht identifizierte sterbliche Überreste einiger Opfer bestattet lagen.
»Also, noch mal zum Verständnis«, sagte der Fahrer und warf einen Blick zu dem Tablet auf ihrem Schoß, auf dem sie herumtippte. »Sie müssen innerhalb eines Radius von vier bis fünf Metern an diese Person herankommen, die Sie suchen, damit das Ding funktioniert?
Vier bis fünf?
Nicht vierzig bis fünfzig?«
»Ich fürchte, ja.«
Wie sie Ambrose gesagt hatte – es war ein gewagter Versuch. Doch immerhin ein Ansatzpunkt. Die Uhr tickte weiter, in einer halben Stunde würde die Mahnwache anfangen, und O’Neal war immer noch nicht gefunden worden. Der Präsident hatte den Chef des NDLE angewiesen, die Behörden von D.C. und Arlington der Parkpolizei unterstützend zur Seite zu stellen, die normalerweise damit beschäftigt war, Knöllchen auf dem George Washington Memorial Parkway zu verteilen. Dutzende von Polizisten mischten sich unters Volk, alle ausgestattet mit Bildern von O’Neal, die ihm derzeit entsprechen mochten oder auch nicht.
Wenn sie einem Täter auf der Spur wären, der sich darum scherte, ob er geschnappt wurde oder nicht, dann hätte das vielleicht funktioniert; es hätte ihn abschrecken können. Wenn O’Neal heute auf Tippett losgehen wollte, dann beschloss er möglicherweise beim Anblick der vielen Ordnungshüter, dass Vorsicht besser war als Nachsicht und der nächste Tag die klügere Wahl.
Dummerweise bezweifelte sie, dass O’Neal noch rational dachte, und vermutlich war es ihm egal, ob er erwischt wurde. Er hatte
bewiesen
, dass er gefasst werden wollte, indem er ihnen die Mails geschickt hatte. Mit den ersten beiden Morden wäre er wahrscheinlich ungestraft davongekommen, wenn er nicht den Blick der OEP -Ermittler auf sich gelenkt hätte.
Nein, der Mann hatte nicht vor, hiermit durchzukommen. Also hatte er wirklich nichts zu verlieren, selbst wenn seine Chancen schlecht standen. Vermutlich war er sogar bereit, dabei zu sterben.
»Also gut, Officer, aber ich kann Ihnen nichts garantieren. Ich meine, ich kann Sie so viel durch die Gegend kutschieren, wie Sie wollen, aber ich will auf keinen Fall irgendwen über den Haufen fahren, nicht mal mit diesem kleinen Golfmobil.«
»Bringen Sie mich einfach so nah wie möglich an die Leute heran, die auftauchen … ohne irgendwen anzufahren.«
Er nickte zustimmend, und sie setzten ihre Patrouille fort, rollten hierhin und dorthin, umrundeten die Besucher, die während der letzten Stunde hereingekleckert kamen und auf die Gelegenheit warteten, mit ein paar Typen gemeinsam zu
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