Der Klang des Verderbens
hatte. Nach einem kurzen Blick widmete er sich ganz seinem Telefon, strich über das Display und las konzentriert die Mitteilung. Ronnie wusste, dass der stets professionelle Sykes niemals während einer so wichtigen Besprechung wie dieser etwas gelesen hätte, was nicht von entscheidender Bedeutung wäre. Daher wartete sie geduldig ab.
»Anscheinend haben wir ihn identifiziert«, verkündete er schließlich.
»Das Opfer?«, fragte sie überrascht.
»Ja. Ich habe eine Kollegin gebeten, das in Angriff zu nehmen, sobald ich das Büro verlasse.«
Wenn Daniels bei der Arbeit gewesen wäre, dann hätte Ronnie genau dasselbe gemacht. Er hatte ein Gespür dafür, Informationen an den verschiedensten Quellen aufzutun, und sie wettete, dass er ihr Opfer genauso schnell identifiziert hätte wie die FBI -Agentin, die Sykes damit beauftragt hatte.
Daniels. Wäre er ihr doch bloß nicht in den Sinn gekommen. Ihr Partner würde nicht gerade erfreut darüber sein, dass Jeremy sich wieder in Washington aufhielt. Sie hatten nie darüber gesprochen, aber zweifellos war Mark eifersüchtig auf den anderen Mann. Ronnie hätte gerne geglaubt, dass das rein berufliche Gründe hätte – und er bloß sauer war, weil seine Partnerin jemand anderem zugeteilt wurde. Doch sie hegte die starke Befürchtung, dass seine Gefühle vorwiegend privater Natur waren.
Was immer sie für Sykes empfand – und irgendetwas empfand sie, das stand fest –, sie würde sich wohl nie vergeben können, dass sie mit ihm im Bett gewesen war, während ihr Partner von einem Ungeheuer zerstückelt wurde. Nein, sie hätte Daniels nicht beschützen können, da er nicht im Dienst gewesen war und in einer zwielichtigen Kneipe ein Bier getrunken hatte, in das ihm jemand etwas hineingemischt hatte. Später war er in ein leer stehendes Hotel und dort in einen Hinterhalt gelockt worden. Dennoch, wenn er nicht so unglücklich darüber gewesen wäre, dass sie so eng mit Sykes zusammenarbeitete – eine Dienstreise nach Richmond eingeschlossen, während der sie letztendlich ein Hotelzimmer geteilt hatten –, dann hätte Daniels vielleicht gar nicht erst das Bedürfnis gehabt, seine Sorgen in Alkohol zu ertränken.
Sykes sprach weiter, ohne ihr Schweigen zu bemerken. »Sie hat alle Polizeiakten ungelöster Mordfälle im gesamten Land durchforstet. Anhand seiner Tätowierungen und der Todesart hat sie ihn ziemlich schnell in der landesweiten Datenbank des NDLE gefunden.«
Ja, wahrscheinlich gab es nicht besonders viele dunkelhaarige Männer mit Gangtattoos, denen die Augäpfel aus den Höhlen gezerrt und der Schwanz abgeschnitten worden war.
»Wenn das unser Mann ist, dann lautet sein Name Angelo Ortiz. Er war einunddreißig Jahre alt, ein hochrangiger Kokaindealer in Kalifornien. Sein Vermögen hat er in South L.A. gemacht, sich dann in das ruhige Leben in der Vorstadt zurückgezogen und die Fäden von Long Beach aus gezogen. Seine Leiche ist an einen Stuhl gekettet in seinem eigenen Haus gefunden worden.«
»Also hat der Täter ihn von dort nicht mehr wegbefördert.«
»Offensichtlich nicht. Dieser Kerl hatte ein ellenlanges Vorstrafenregister – Drogen, Raubüberfälle und Mord. Sieht aus, als wäre seine eigene Folterkammer gegen ihn verwendet worden.«
Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen …
Was in Ronnie manchmal die Frage weckte, was das eigentlich für ihre eigene Zukunft verhieß. Natürlich hatte sie selbst immer nur im Namen des Gesetzes notwendigerweise Gewalt angewendet. Das Schicksal – oder wer auch immer über solche Dinge ein Urteil fällte – würde das hoffentlich berücksichtigen.
»Gibt es irgendwelche Anhaltspunkte dafür, wie der Mörder ihn in seine Gewalt bekommen hat?«, fragte sie. Ein Kerl dieses Kalibers hatte doch wohl strenge Sicherheitsvorkehrungen getroffen.
»Das Haus stand in einer Wohngegend, wurde aber laut Berichten bewacht. Zwei seiner Männer wurden tot in der Garage gefunden. Die Wachhunde waren betäubt worden.«
Also hatte der Mörder die Hunde verschont, die Menschen aber umgebracht. Dieses Detail merkte sie sich, denn solche Dinge verrieten einiges über ihren unbekannten Täter.
»Die Wachen – wurden die auch zu Tode geprügelt?«
»Nein. Beide wurden wie bei einer Hinrichtung durch einen Kopfschuss getötet.«
Alles klar. Er hatte sich seinen Zorn für Ortiz aufgespart. »Angelo hätte sich bestimmt gewünscht, auch so einfach davonzukommen. Eine Kugel in den Schädel ist tausendmal
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