Der Klavierstimmer
Mantel auf einen Sessel.
Antonio zog die Brauen hoch; sein Gesicht wurde zu einer höhnischen Fratze. Der Blick jedoch war eine Spur weniger sicher als zuvor; ganz hinten in den Augen flackerte Angst auf. Ich sah ihn unverwandt an, mein starrer Blick sollte bis zu jener Angst vordringen und sie schüren.
Ich werde etwas Besonderes für ihn sein, nämlich die erste Frau, mit der er Kinder haben wird, zitierte ich und gab den Worten einen gezierten, affigen Klang. ‹Erinnerst du dich?›
Das überhebliche Lächeln auf Antonios Gesicht blieb, aber es wirkte … comment dire … verlassen, als habe er es auf seinen Zügen vergessen. Wie in kritischen Momenten beim Roulette drehte er geistesabwesend an seinen Ringen. Ich wartete, ich hatte alle Zeit der Welt. Mit den nächsten Worten würde ich ihn zu meinem Gefangenen machen.
‹Und?› fragte er schließlich mit forcierter Gleichgültigkeit.
‹Das kann Madame sich abschminken›, sagte ich, ‹restlos ab schminken.› Es gefiel mir, ihn zwischen meinen Sätzen warten zu lassen - ihn, der das Gespräch an sich zu reißen pflegte, kaum hatte er einen Raum betreten.
‹Diese Rolle ist nämlich schon besetzt›, fügte ich hinzu.
Immer wieder hatte ich diese Worte im Inneren geprobt, während ich in der Halle auf ihn wartete. Jetzt betrachtete ich ihn wie ein Versuchstier. Comme un insecte .»
Das letzte Wort sprach Maman mit scharfem, überdehntem Zischlaut aus, in dem der Haß hörbar wurde; buchstäblich hörbar.
«Er blinzelte wie jemand, der plötzlich geblendet wird. Ein letzter Rest des herablassenden Lächelns war zurückgeblieben. Es war nur noch der Hauch eines Lächelns, man mußte, um es zu erkennen, den vorangegangenen Ausdruck gesehen haben. Ich wartete und griff währenddessen nach den Zigaretten in der Jackentasche. Ich genoß es, Herrin der Situation zu sein. Es gibt weniges, was ich so genossen habe, so rückhaltlos und mit derartiger Klarheit des Empfindens.
‹Ich verstehe kein Wort›, sagte er. Ihm, der mit seiner Stimme die Welt zu verzaubern vermochte, wollte diese Stimme jetzt nicht gehorchen, die Worte kamen mit hilfloser Heiserkeit heraus. So stelle ich mir die Heiserkeit von jemandem vor, der nach Monaten des Schweigens die ersten Worte spricht. Ich sah ihn ganz gerade an, nicht so starr wie vorhin, einfach nur ganz gerade, sozusagen ohne Umschweife und Schnörkel. Es war ein Blick, wie ich ihn oft bei Frédéric gesehen hatte, nur erlebte ich ihn dieses Mal von innen. Ein bißchen war es, als überbrächte ich seinen Blick, als stünde ich vor Antonio als Frédérics Abgesandte, eine Botschafterin der Blicke.»
Ich erkannte Maman nicht wieder. Nicht nur, daß sie minutenlang ohne Stocken sprach, und dies mit derart überlegener, anstrengungsloser Regie über ihre Sätze, daß der Gedanke, sie könnte dabei jemals Hilfe benötigt haben, grotesk erschien. Was mich darüber hinaus frappierte, waren der Reichtum ihres Wortschatzes und die Treffsicherheit ihrer sprachlichen Phantasie. (Ich hoffe, das klingt nicht anmaßend. Hier spricht, so scheint mir, der Junge von damals, der bei penser pensées zwar der Untergebene war, weil ihm die Aufgaben gestellt wurden, dem aber gleichzeitig auch die Rolle des Überlegenen zufiel, weil es zum Ernst des Spiels gehörte, daß er es war, der die fehlenden Worte fand.)
«Langsam, ohne den Blick von Antonio zu wenden, nahm ich jetzt die Zigaretten aus der Jackentasche», fuhr Maman fort.«‹Hier wird nicht geraucht!› sagte er und versuchte vergeblich, seinen Worten den Klang einer Anordnung zu geben, der niemand zuwiderhandeln würde. In aller Ruhe - einer gefährlichen Ruhe, wenn es das gibt - klappte ich das Etui auf, entnahm ihm eine Zigarette und hielt die Flamme aufreizend lange vor den Tabak, bis ich schließlich den ersten Zug tat. Antonios Hände krallten sich in den Plüsch der Sessellehne. Nur so konnte er sich davon abhalten, mich mit Gewalt am Rauchen zu hindern, und es hatte zuviel Drohung in meinen letzten Worten gelegen, als daß er sich das getraut hätte. Schon nach wenigen Augenblicken hatte er mit seiner würgenden Allergie gegen Rauch zu kämpfen, die mich damals, vor sechsundzwanzig Jahren, veranlaßte, mit dem Rauchen aufzuhören.»
Für die Dauer einiger Sätze wechselte Mamans Stimme in eine ganz andere, viel sanftere Tonlage, die in sonderbarem Kontrast zu der Grausamkeit der erzählten Szene stand.
«Die Allergie war so stark, daß er einmal die Anfangsszene einer
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