Der Klavierstimmer
Aschenbecher?»Als er dem Pagen erklärte:«Ich möchte, daß die Schuhbändel bei meinen Schuhen herausgezogen und gesondert gereinigt werden», klang das aus meinem Munde so:«Wenn Sie die Schnürsenkel nicht gesondert reinigen, können Sie etwas erleben!»Die Gesichter und Stimmen des Personals wurden von Tag zu Tag abweisender, wenn der Mann auftauchte. Seine Aschenbecher wurden nicht mehr geleert, und Botschaften wurden, selbst wenn sie dringlich waren, ins Fach gelegt, statt sie ihm telefonisch durchzugeben. Die feindselige Einstellung des Hotelpersonals war das erste, worüber sich von Graffenried im Zeitungsinterview beschwerte.
«Wie kommen die dazu - einem Mann wie mir gegenüber!»
«Das ist der mieseste Schuppen, in dem ich jemals gewohnt habe», übersetzte ich.
Das Gesicht der Reporterin gefror, und sie schnappte nach Luft, bevor sie fragte, wie er seine Chancen gegen Ibarra und Reyes einschätze.
Von Graffenried lächelte süffisant.«Ich habe schon gegen ganz andere Gegner gewonnen.»
«Solche Flaschen verputze ich vor dem Frühstück», sagte ich.
«Wollen Sie im Ernst behaupten, daß die beiden Flaschen sind?»fragte die konsternierte Frau, der die Stimme nicht mehr recht gehorchen wollte.
Ich gab die Frage weiter:«Sind Sie sicher, daß nicht Sie die Flasche sind?»
Von Graffenried wurde bleich, stand wortlos auf und ging.
Das Interview wurde als Knüller aufgemacht, und der gelbe Hut auf dem Begleitfoto tat ein übriges. Die beiden anderen Zeitungen sagten versprochene Gespräche ohne Begründung ab. Es lief gut.
Ibarra und Reyes verweigerten den Händedruck und zogen ihre Zusage zurück, daß der Schweizer während des Spiels rauchen dürfe. Von Graffenried verstand das Ausmaß der Feindseligkeit nicht und fühlte sich verfolgt. Er verlor eine Partie nach der anderen. Am vierten Tag reiste er ab. Bei der letzten Begegnung sah er mich lange an. Ich sah ihn auch an. Und lächelte. Sonst schöpfte niemand Verdacht.
Auch beim Vortrag eines französischen Professors mit großem Namen dolmetschte ich. Er ist ein aufgeblasenes Individuum, und seine gestelzte Art zu sprechen und zu gestikulieren ist unerträglich. Hinzu kam, daß ich dabei war, als er die Quittung für sein Honorar unterschrieb: tausend Dollar. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen. Ob er bestätigen könne, fragte eine Studentin, daß das Vichy-Régime von sich aus, ohne Druck der Deutschen, Abtransporte von Juden organisiert habe?
Ich übersetzte: Ob er das bestreiten wolle?
Der Franzose wurde bleich. Er sei Historiker, sagte er, und als solcher halte er sich an die Daten; die Kategorien des Bestreitens oder Zugebens seien hier fehl am Platz.
Meine Übersetzung: Wenn man sich an die Daten halte, könne man den Antisemitismus des Vichy-Régimes weder bestätigen noch bestreiten.
Gelächter im heißen Saal. Der Professor, Unverständnis in den Augen, wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. Bei Pétain gehe es dem Historiker da nicht anders als bei Pinochet, sagte er. Diesen Satz übersetzte ich wortgetreu. Für einen Augenblick herrschte ungläubiges Schweigen. Dann brach ein Sturm der Entrüstung los. Wie er dazu komme, Pinochets Verbrechen in Zweifel zu ziehen! Der Dekan brach die Diskussion ab. Das vorher angekündigte Essen fand nicht statt. Am nächsten Tag wurde der Franzose von der liberalen Presse in Stücke gerissen.
Im Frühling dieses Jahres dann passierte die Sache mit Señor Valdivieso, Mercedes’ Vater. Die Valdiviesos sind ein altes, weitverzweigtes Geschlecht. Viele von ihnen sind seit jeher im Kupfergeschäft, also wohlhabend. Es gibt unter ihnen sowohl Anhänger von Pinochet als auch erbitterte Gegner. Die Anhänger verteidigen eigentlich gar nicht den General, sondern den Pinochetismo als erfolgreiche Wirtschaftspolitik, und sie berufen sich gern auf das wirtschaftliche Chaos unter Allende. So ist es bei Mercedes’ Vater, glaube ich. Doch die Tochter kann nicht davon absehen, daß ihr Vater das System eines Mannes verteidigt, der soviel Blut an den Händen hat. Schon als Schulmädchen war sie im illegalen Widerstand gegen Pinochet, und sie findet den Einfluß, den der General («ese asesino») immer noch hat, unerträglich. Es gab einen Bruch mit dem Elternhaus, seit zehn Jahren hat Mercedes mit ihrem Vater kein Wort gewechselt.
Ich hatte diesen Auftrag nicht gewollt. Er war zu groß für mich. Sprachlich war ich der Sache gewachsen, auch wenn es das erste Mal war, daß ich bei einer
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