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Der Klavierstimmer

Der Klavierstimmer

Titel: Der Klavierstimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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gegenübertritt.
    Leise, als könne man mich bei etwas Verbotenem ertappen, ging ich zurück in mein Zimmer, wo ich hinter der halb geöffneten Tür auf das Geräusch deines Schlüssels wartete. Dieses Geräusch würde, so kam es mir vor, wie eine erste Berührung sein. Da erklangen die hellen Töne unserer Klingel. Ja, dachte ich sofort, das paßt zu ihm: Sogar den Schlüssel hat er zurückgelassen. Abgänge von leiser Melodramatik, darin ist er nicht zu übertreffen. Wahrscheinlich hat er ihn auf den Tisch im Entrée gelegt, genau in die Mitte, bevor er in den Nachtstunden die Haustür hinter sich zuzog.
    Als ich Mamans schleichende Schritte hörte, schloß ich die Tür und ging zum Fenster um zu warten. Ich wollte nicht wissen, wie eure Begrüßung sein würde. Gedämpft hörte ich deine Stimme und kurz darauf die Schritte auf der Treppe. Ich hielt den Atem an und war enttäuscht, daß du nicht gleich zu mir kamst, sondern offenbar zuerst in dein Zimmer gingst. Jetzt würdest auch du das Bett sehen. Es dauerte endlos lange, bis ich dich schließlich kommen hörte, und die Zeit schien sich noch einmal bis zum Zerreißen zu dehnen, bevor du klopftest.
    Es war ein fremdes Klopfen, erst zu leise, dann zu laut. Wie hattest du dein früheres Klopfen vergessen können!, dachte ich. Es war die erste Gelegenheit von vielen, bei der ich gegen den Gedanken aufbegehrte, auch du könntest dich in den Jahren unserer Trennung verändert haben. Erst allmählich wird mir bewußt, daß ich mir den Schritt in ein eigenes, selbständiges Leben nur so hatte vorstellen können, daß ich ging und mich veränderte, während du bliebst, ohne dich im geringsten zu wandeln. Daß auch du gegangen warst - ich habe es gewußt, mir aber nicht vorstellen können. Ich wollte dich unverändert in mir mittragen, um jederzeit wieder in unsere frühere Gemeinsamkeit zurückkehren zu können. Du solltest in deiner früheren Gestalt der Anker sein für den Fall, daß mir mein neues Leben mißlingen würde.
    Du bist erschrocken, als du mich sahst. Die kurzen Haare - ich wußte genau, wie sie auf dich wirken würden. Die Ohrringe. Nach langem Hin und Her hatte ich sie schließlich angesteckt. Du brauchtest nicht zu erfahren, daß sie ein Geschenk von Stéphane sind, der sie selbst geschmiedet hat. Aber sehen solltest du sie.
    Du hieltest mich wie ein Stück kostbares Porzellan und zittertest am ganzen Körper.«Patty», sagtest du. Du sagtest es vieroder fünfmal, und jedesmal klang es, als wäre es das erste Mal. Nur ein einziges Mal in all den Jahren habe ich diese zärtliche Form meines Namens gehört. Es war, als ich Stéphane kennenlernte. Er war erschrocken über die Bestimmtheit, mit der ich ihm verbot, mich so zu nennen. Er hat mich nie gefragt warum. So ist Stéphane.
    Deine Hände - du führtest sie so beherrscht und zögernd, als seien es Wesen, die sich ganz plötzlich verselbständigen könnten.
    Im Schein der Straßenlaterne hatte dein Gesicht so bleich gewirkt, daß ich darüber erschrocken war. Als ich nun Licht machte, fiel mir vor allem auf, wie müde du aussahst. Die Müdigkeit schien mir nicht nur von der langen Reise zu kommen. Das Gesicht war noch von einer anderen Art der Anstrengung gezeichnet.
    Und dann berichtete ich dir das wenige, was ich wußte. Wir saßen nebeneinander auf meinem Bett, du hattest die Arme auf die Knie gestützt, den Kopf in den Händen. Du hörtest anders zu, als ich es von dir gewohnt war. Nicht weniger konzentriert, aber weniger vereinnahmend. Früher war dein Zuhören durchzogen gewesen von einer verschlingenden, aufsaugenden Aufmerksamkeit, in der alles, was man sagte, sofort und ohne Rest zu verschwinden schien, du machtest es, kaum hatte man es ausgesprochen, zu einem Teil von dir. Man war erschöpft, wenn man in den Bannkreis dieser Aufmerksamkeit geraten war. Nicht, daß man die Erschöpfung gleich bemerkt hätte. Im Gegenteil, man fühlte sich beflügelt durch diese Art des Zuhörens, man stieß hier auf ein Interesse an der eigenen Sache, von dem man nicht zu träumen gewagt hatte. Erst nachher, wenn du gegangen warst, fühlte man sich auf einmal müde und ausgelaugt, es war ein bißchen, als hättest du einem die Worte durch dein verzehrendes Zuhören weggenommen, vor den eigenen Augen entwendet, so daß man nun ohne Worte, sprachlos zurückblieb. Und über eine Sache bin ich stets von neuem erschrocken, weil ich sie von mir wies, kaum hatte ich sie bemerkt: wie herrisch du darin warst, von den

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