Der kleine Bruder: Der kleine Bruder
hab Hunger«, sagte Chrissie. »Hier gibt’s ja nie was zu essen.«
»Ja«, sagte Karl, »weil nie einer was kocht, Chrissie. So einfach ist das.«
»Was erzählst du mir das? Soll ich euch etwa was kochen? Weil ich ‘ne Frau bin, oder was? Wie bist du denn drauf?!!«
»Ich hab auch Hunger«, sagte Frank.
»Ich hab auch Hunger«, sagte Karl. »Auf der Wiener Straße ist ein Grieche.«
»Willst du einfach in dem Bett von deinem Bruder schlafen?« fragte Chrissie.
»Das ist sein Bruder, Chrissie«, sagte Karl. »Die sind zusammen aufgewachsen und so.«
»Beim Griechen essen, muß das sein?« wechselte Frank das Thema.
»Ja logo«, sagte Karl.
»Ich komm auch mit«, sagte Chrissie.
»Aber eins muß klar sein«, sagte Karl und hob einen Zeigefinger. »Der nächste, der zu Freddies Kunst Plunder sagt, fliegt ohne Ouzo raus.«
»Ich habe doch gar nicht …«, sagte Frank.
»Nix!« unterbrach ihn Karl. »Fliegt raus. Ohne Ouzo.«
»Trink ich sowieso nicht«, sagte Chrissie.
»Dann nehm ich deinen«, sagte Karl, »das ist das einzig Gute in dem Schweineladen!«
In der Taverna Akropolis, dem Schweineladen, war Karl kein Neuling, soviel war sicher, man klopfte ihm auf die Schulter, als er eintrat, und er verlangte den »Tisch wie immer«. Das war ein Tisch wie alle anderen auch, in der Mitte des schlauchförmigen Raums gelegen, und er war ebenso frei wie alle übrigen Tische außer einem, an dem saß ein alter Mann mit dem Rücken an der Wand und guckte auf einen Fernseher, in dem Menschen zu Folklore-Musik Teller zerschlugen. »Guck dir das an!« sagte Karl und lachte.
Nachdem sie bestellt hatten - Frank Gyros mit Krautsalat, Chrissie nut einen Teller Backkartoffeln und Karl »einmal das ganze Programm rauf und runter wie immer, du weißt schon!« - versuchte Frank es noch einmal mit seiner Frage: »Wo macht er denn jetzt seine Skulptuten und Bilder und so.«
»Bilder schon mal gar nicht«, sagte Karl, »Bilder macht Freddie nie. Das ist was für Polymorph-Perverse.«
»Früher, als er noch in Bremen war, hat er viel gemalt«, sagte Frank.
»Früher, als er noch in Bremen war«, äffte Karl ihn nach. »Das war ja auch früher, als er noch in Bremen war. Freddie malt schon lange nicht mehr. Freddie ist der neue heiße Scheiß im Objektbereich, Alter, da wird er sich doch die Finger nicht mit Farbe bekleckern.«
»Und wo objektet er so?« sagte Frank.
»Mann, ist das ein Zeug«, sagte Karl, während er ihnen allen was von dem Wein eingoß, den der Wirt in einer zylindrischen Alukanne auf den Tisch gestellt hatte. »Dieser Retsina hier ist wirklich die übelste Schweinerei, die die Menschheit kennt. Was ist das für ein Zeug, was die da reinmachen, Harz, was für ein Harz ist das, das ist ja Wahnsinn?! Ich trink das hier immer!«
»Das ist schön«, sagte Frank. »Wo ist das Atelier von Freddie?«
»In der ArschArt-Galerie«, sagte Kar! m sem Glas hinein.
»Wo?«
»In der ArschArt-Galerie.«
»Wo?«
»In der ArschArt-Galerie, verdammt nochmal.«
»Ja, ja, gehört hab ich’s schon«, sagte Frank bissig, während Chrissie zu kichern anfing, »aber ich kann’s kaum glauben: ArschArt-Galerie, ja? Ich meine, ich darf nicht Kunstkram oder so sagen, ohne eine Ouzosperre zu kriegen, aber Freddie macht den Kunstkram in der ArschArtGalerie, ja?«
»Was weißt du denn von der ArschArt-Galerie, das sind keine Witzbolde oder so, das ist von allen Galerien in Kreuzberg die Angesagteste, ihr habt doch beide überhaupt keine Ahnung. Hab mir schon gedacht, daß du das nicht kapierst.«
»Ich sag ja überhaupt nichts gegen die ArschArt-Galerie. Ich kenn die ja nicht. Ich meine bloß, erst werde ich beschimpft, weil ich von meinem Bruder nicht so rede, als ob er der Papst ist oder was, und dann ist er bei der ArschArt-Galerie untergekommen! Und wieso hat er bei einer Galerie sein Atelier? Ich denke, in einer Galerie stellt man bloß aus?«
»Das ist ja nicht wirklich eine Galerie, das ist eine Künstlergruppe, die auch Ausstellungen macht, die machen da alles selber und so, und Freddie ist mit dem Oberboß befreundet, und da haben die ihm einen Raum gegeben. Die haben ein Haus in der Naunynstraße, das sind mehr so fiese Hippie-Arschlöcher.«
»Hippie-Arschlöcher?« sagte Chrissie. »Wieso sind
Hippies Arschlöcher? Und was ist eigentlich polymorph-pervers?«
»Prost«, sagte Kar! und hob sein Retsina-Glas. »Nicht den Retsina vergessen, ist noch so viel von da!«
»Was ist denn jetzt
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