Der kleine Bruder: Der kleine Bruder
vielleicht«, sagte Woll i in einem leicht gehässigen Tonfall. »Du warst ja auch noch nie hier! Kann ich mir vorstellen, daß du vom Namen her in Berlin bloß den Kudamm kennst.«
»Hm … «, ließ Frank sich nicht provozieren. »Soll ich lieber woanders fahren?«
»Nee, wir fahren jetzt einfach den Kudamm runter und dann immer geradeaus, das weiß ich noch, du mußt den immer nur geradeaus fahren, dann kommt man direkt nach Kreuzberg. Das dauert aber.«
»Ja, dann sieht man gleich mal was von der Stadt«, sagte Frank, immer schön um das Positive bemüht. Und irgendwie gefiel ihm der Kudamm auch, denn das war ja wohl der Kudamm, den sie hier hinunterfuhren, alles war hell erleuchtet, das gefiel ihm schon mal gut, es muß nicht immer duster sein, dachte er, es reicht, wenn die Transitstrecke duster ist, dachte er, und je weiter sie kamen, desto seltsamer und glitzernder wurde die ganze Sache, die Laternen warfen sowieso ein komisches Licht, weich und wolkig war das, und es war ordentlich was los auf der Straße, das war mal klar.
»Das ist doch alles totale Touristenscheiße, der Kudamm«, sagte Wolli. »Das ist doch bloß was für Touristen!«
»Naja«, wandte Frank ein, »wir gehören aber auch noch nicht so lange zu den Einheimischen!« Er lachte. Der war gut, fand er. Die Kulisse um sie herum -, denn als Kulisse empfand er die ganze Sause hier, es sah alles so unwirklich aus, das muß am Licht liegen, dachte er - diese Kulisse jedenfalls versetzte ihn in gute Laune, da gab es blinkende Leuchtreklamen, tanzende Buchstaben und sich drehende Schilder und dergleichen mehr, das ist ja alles totaler Emil-und-die-Detektive-Quatsch, dachte er erheitert, das gefiel ihm, es war wie in einem Film, und er hätte gerne etwas Musik dazu gehört, das hätte die Sache perfekt gemacht, aber leider hatte Wolli den Autokassettenrekorder schon kurz hinter dem Autobahndreieck Walsrode mit einer bandsalatproduzierenden Punkkassette für wahrscheinlich immer verstopft.
»Ich finde das stark hier«, sagte Frank, »echt mal, Wol-li, das ist doch mal was anderes, guck dir mal den Mercedes-Stern da oben an, der dreht sich, ich glaub’s nicht, der dreht sich! Daß es sowas noch gibt …!«
»Das ist das scheiß Europacenter, ich glaub, ich muß kotzen, aber wenigstens sind wir gleich durch«, sagte Wolli, »scheiß Kudamm. Und da, guck dir das an, das KaDeWe auch noch, scheiß KaDeWe, so eine Scheiße. Gleich sind wir durch, ich glaube, das ist hier schon gar nicht mehr der Kudamm!«
»Was denn dann?«
»Was weiß ich denn, wie die Scheiße hier heißt, ich kenn mich hier nicht aus. Wittenbergplatz«, las Wolli irgendwo ab. »Wittenbergplatz. Scheiß KaDeWe und so, das kennt man doch.«
»Ich kenn das nicht, ich war ja noch nie in Berlin«, sagte Frank. Und dann waren sie in einer anderen Gegend, die Straße war zwar noch immer groß und breit, aber dunkler jetzt, der ganze Glitzertand des Kudamms war mit einem Mal verschwunden, der Kudamm ist genau so ein Tunnel wie die Transitstrecke, dachte Frank, bloß umgekehrt.
»Wie geht’s denn jetzt weiter?« fragte er.
»Einfach immer der Straße folgen, auch wenn’s um die Kurve geht.«
»Und du hast da mal Tuba gespielt? Im Spielmannszug?«
»Hm …« sagte Wolli nur und blickte dabei nach rechts aus dem Fenster.
»Und wann war das?«
»Früher, als ich im KJB war natürlich.«
»Nein, ich meine, wie du da mit denen in Berlin warst?«
»Anfang 79 oder so, in Kreuzberg, im Winter. Auf dem Mariannenplatz. Das war vielleicht arschkalt! Da hab ich dann in einer Kneipe um die Ecke die Leute kennengelernt, wo ich jetzt hingehe. Da fing das mit dem Punk an, da hab ich zum ersten Mal kapiert, was das für eine blöde Scheiße war mit den K-Gruppen, und eine Woche später bin ich raus aus dem KJB. Da hätte ich gleich nach Berlin gehen sollen. Oder sowieso gleich dableiben!«
»Und warum hast du das nicht gemacht?«
»Die Lehre, die wollte ich noch zu Ende machen, ich hatte gedacht, das sollte nicht alles umsonst gewesen sein.« Wolli zeigte nach vorne. »Jetzt immer der Straße folgen, hier um die Ecke, und da unten dann links. Jetzt bin ich Energieanlagenelektroniker, Scheiße!«
Frank ging darauf nicht ein. Das andere Thema fand et interessanter: »Und wieso Tuba?«
»Einer mußte es ja machen. Und einer, der das Ding auch tragen konnte. Und Martin Klapp hatte schon die große Pauke, da blieb für mich nur noch die Tuba.«
»Und wo hattest du das gelernt, Tubaspielen?
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