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Der kleine Bruder: Der kleine Bruder

Der kleine Bruder: Der kleine Bruder

Titel: Der kleine Bruder: Der kleine Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regener
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vor.«
    Bosbach schüttelte den Kopf. »So ein Quatsch, Weihnachten«, sagte er. Er steckte die Hände in die Taschen, zog wie zum Schutz vor der Kälte die Schultern hoch und ging los.
    Aber Frank verstand Kar!. Er hatte dasselbe gedacht. Komisch sowas, dachte er, und er wollte etwas dazu sagen, aber dann waren die beiden schon ein ganzes Stück weiter weg, und er hatte genug damit zu tun, zu ihnen aufzuschließen und an ihnen dranzubleiben, so schnell liefen sie schon wieder durch die kalte Nacht.
12.  KUNG FU
    Freddie saß auf einem großen Ledersessel, aber auf der Lehne, mit den Füßen auf dem Sitz, und der Sessel stand im Freien und im Dunkeln, und im Hintergrund fuhr die V-Bahn auf ihrem Viadukt ständig von links nach rechts durchs Bild wie ein leuchtendgelber Wutm. »Das darf man alles nicht so ernst nehmen«, sagte er und zündete ein Streichholz an. »Mal ist man Manni, mal ist man Freddie, mal ist man auf der einen, mal auf der andeten Seite der V- Bahn!« Er steckte eine Zigarette an und hielt sie Frank hin.
    Frank wollte sie nicht nehmen. »Ich weiß nicht, ob sich das hier lohnt«, sagte er, »das muß ich erst noch rauskriegen.«
    »Hier kriegst du gar nichts raus«, sagte Freddie und rauchte die Zigarette selber. »Wenn du auf der anderen Seite bist, fährt sie von rechts nach links, das ist dann die Manni-Linie.«
    »Ich glaube, das lohnt sich nicht, weil die Luft eh schon so schlecht ist«, sagte Frank. »Das kriegt man doch hier alles umsonst.«
    »Wußte gar nicht, daß du so geizig bist«, sagte Karl.
    Sie fuhren in der V-Bahn, aber Karl rauchte trotzdem, und es schien von den sonstigen Passagieren, allesamt alten Omas, wenn man näher hinschaute, keinen zu stören. Die V-Bahn war eingerichtet wie die Bremer Straßenbahn, und auf den Zweiersitzen saß immer nur eine Oma auf einmal. Das ist die Omnibusregel, dachte Frank, das ist wie bei der Besetzung der Hantelorbitale bei den Elementen der Periodentafel, die werden auch immer erst alle einfach besetzt, und erst danach das erste zweifach, gut, daß man das mal in der Schule gelernt hat, dachte er, das ist wie Schwimmen, das kann man dann für immer, und das kann man auch immer gebrauchen.
    »Wieso fahren wir eigentlich an den Kudamm?« fragte
    er.
    »Weil wir Touristen sind«, sagte Kar!.
    »Ich bin kein Tourist. Das ist überhaupt nicht möglich, daß ich Tourist bin«, sagte Wolli. Wo kommt Wolli denn jetzt schon wieder her, dachte Frank, und wieso sieht er aus wie ein Schaffner?
    »Alle Punks sind Touristen«, sagte Kar!. »Das ist doch überhaupt die neueste Art von Tourismus, Punk.«
    Wolli hob eine Faust und klopfte mit einem Fingerknöchel auf Kar!s Kopf. Es klang wie das Klopfen an einer Tür.
    »Ich mag das«, sagte Kar!, »mach schön weiter.«
    »Fnd die Fahrkarten würde ich dann auch gerne mal sehen«, sagte Wolli.
    »Du willst die Fahrkarten sehen?« sagte Frank ungläubig.
    »Ja«, sagte Wolli, immer weiter auf Kar!, der das sehr zu genießen schien, herumklopfend, »wo wir gerade dabei sind sozusagen.«
    Frank fiel auf, daß die V-Bahn gar nicht fuhr. Sie waren jetzt auch ganz alleine darin, er und Kar! und Erwin. Wieso Erwin? dachte er.
    »Wach mal auf«, sagte Erwin.
    »Was machst du denn hier, Erwin?« sagte Frank.
    »Dumme Frage«, antwortete Erwin, »ich wohne hier. Deine Mutter ist am Telefon.«
    Da wachte Frank auf.
    Es war Tag, aber es war nicht sehr hell, durch das Fenster kam graues Licht herein, und Erwin stand neben der Matratze, auf der Frank lag, und sah auf ihn herunter.
    »Deine Mutter ist am Telefon«, wiederholte er.
    »Meine Mutter ist am Telefon?«
    »Ja, deine Mutter ist am Telefon.«
    »Ich dachte, ich hätte das geträumt.«
    »Ja, von sowas träumst du vielleicht, aber jetzt solltest du schnell mal mit ihr reden! Ich meine, da klingelt das Telefon nach langer Zeit endlich mal wieder, und das erste, was man hört, ist Freddies Murter!«
    Dann war Erwin wieder weg, aber die Tür ließ er offen. Freddie hatte neben dem Bett einen Wecker mit Klappzahlen, da klappte gerade ein Minutenschildchen herunter, und es war 14.47 Uhr. Wahrscheinlich, dachte Frank, ist sie grad von der Arbeit zurückgekommen und ruft nur mal eben an, um zu fragen, wie’s denn so läuft. Seufzend stand er auf und zog sich die alte Hose von gestern an, es blieb ihm ja auch nichts anderes übrig, eine andere Hose hatte er nicht. Klamotten kaufen muß ich auch noch, dachte er, als er draußen vor seinem Zimmer stand und in das Halbdunkel

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