Der kleine Bruder: Der kleine Bruder
ist.«
»Ja, das hab ich ja nun auch gehört. Und wenn der morgen immer noch nicht da ist, dann müssen wir beide eben nochmal darüber reden. Da stimmt doch was nicht!«
»Das ist nicht nötig, der kommt sicher erst in ein paar Tagen wieder!«
»Woher willst du das wissen?«
»Sowas weiß man doch!«
»Jetzt redest du Unsinn, mein Junge. Ich ruf morgen nochmal an. Genau die Zeit wie heute, bist du dann da?«
»Ja«, sagte Frank widerwillig.
»Das ist gut. Und grüß schön.«
»Ja, du auch!«
Frank legte auf und sah, daß Chrissie ihn von der Bank aus anstarrte.
»Ist das da Kaffee, was du da hast?« fragte er.
»Ja«, sagte sie. »Da ist noch was in der Kanne.«
Sie zeigte zur Spüle hinüber, neben der eine Kaffeekanne stand. Frank ging hin, suchte sich aus einem Haufen Geschirr in der Spüle einen Kaffeebecher heraus, wusch ihn ab und goß sich was ein. Dann setzte er sich Chrissie gegenüber und versuchte, seine Gedanken zu sammeln, wenigstens so weit, daß es für einen Plan für den neuen Tag reichte, obwohl, neuer Tag, dachte er, für einen neuen Tag sieht der schon ziemlich alt aus. In der Küchenecke war das Licht an, ein großer, leuchtender Papierballon über dem Küchentisch, und das war auch nötig, denn was durch die Fabrikfenster an Licht hereinkam, war ausgesprochen trübe. Man darf sich die Laune nicht vermiesen lassen, schärfte er sich ein, und Panik darf man sich auch nicht machen lassen, schon gar nicht von der eigenen Mutter, versicherte er sich, man muß auch das Positive sehen, dachte er, immerhin ist bald Weihnachten, fiel ihm die Bemerkung von Kar! aus der letzten Nacht ein, und er mußte lachen, obwohl er nicht genau wußte, warum.
»Warum lachst du?« fragte Chrissie.
»Nur so«, sagte Frank.
»Aha«, sagte Chrissie und schaute wieder in ihre Tasse.
»Ich dachte, bald ist Weihnachten«, sagte Frank. »Das hat Kar! gestern gesagt.«
»Ach so. Sehr lustig!«
»Geht so«, sagte Frank, und dann schwiegen sie. Sie saßen einfach nur da herum und schwiegen, und Frank dachte einen Moment darüber nach, was er heute machen sollte. Man könnte bei dieser Galerie vorbeigehen in der Dieffenbachstraße, dachte er, bei dieser Almut. Vielleicht kann die einem mal erzählen, was mit Freddie los ist, dachte er. Aber in Wirklichkeit hatte er keine Lust dazu. Scheiß auf Freddie oder Manni oder alle beide, dachte er. Er war schlapp und wollte einfach nur hier sitzen bleiben, schweigend und in seinen Kaffee pustend, mit Chrissie auf der anderen Seite des Tisches. Man darf die Dinge nicht immer anschieben, man muß sie auch mal geschehen lassen, dachte er, einfach mal abwarten und sehen, was passiert, man sieht ja, was dabei herauskommt, wenn man aktiv wird, dachte er, nur Quatsch kommt dabei raus, man rennt durch die Gegend und scheucht irgendwelche Frauen im Pyjama aus dem Bett, das kommt dabei raus, dachte er, da kann man ebensogut mal sitzen bleiben.
Und so blieb er sitzen, und die Minuten gingen damit vorüber, daß er, gerade so wie Chrissie, auf seinen Kaffee starrte und ab und zu einmal drüberpustete. Chrissie sagte nichts, und er sagte nichts, und nichts passierte. Mal sehen, wie lange das so geht, dachte Frank. Mal sehen, wer als erster was sagt, dachte er, wer als erster was sagt, hat verloren, das ist fast schon fernöstlich, dachte er und entsann sich eines Films, den er einmal gesehen hatte, eines Kung-Fu-Films, in den ihn Martin Klapp einmal hineingeschleppt hatte, das war in Bremen im UT am Bahnhof gewesen, und der Kung-Fu-Meister hatte dem Helden erklärt, daß der, der zuerst angreift, automatisch im Nachteil sei, sich damit automatisch eine Blöße gebe, die der gegnerische Kung-Fu-Kämpfer sogleich zu seinem Vorteil nutzen könne, und das ist doch stark, dachte Frank, und nicht nur stark, nein, auch logisch, das kann man hier auch gleich mal ausprobieren, dachte er, mal sehen, wie und wo Chrissie sich eine Blöße gibt, wenn sie gleich was sagt, dachte er, denn irgendwann muß sie ja mal was sagen, und dann wird es wichtig sein, daß man sofort wie ein Kung-Fu-Meister die richtige Gegenmaßnahme trifft, freute er sich schon darauf, da muß man gleich die entstandene Blöße nutzen und den entscheidenden Treffer landen, dachte er, das ist interessant, denn auf diese Weise kann auch eine eigentlich geistlose Rumsitzerei wie diese zu einer spannenden Angelegenheit werden, dachte er.
Er probierte den Kaffee und verzog das Gesicht. »Wer hat denn den Kaffee gemacht, das
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