Der kleine Dämonenberater
Wenn es Gerechtigkeit gab, warum wurde er dann immer noch von Alpträumen aus dem Krieg geplagt? Wenn es Gerechtigkeit gab, warum raubte ihm dann etwas, das schon über siebzig Jahre vergangen war, noch immer den Schlaf? Nein, Gerechtigkeit war nur ein Mythos, und wie alle Mythen tot – erledigt von der übermächtigen Realität der Erfahrung.
Hätte Effrom sich wohler gefühlt, hätte er sich in Wehklagen über den Niedergang der Gerechtigkeit ergangen, doch im Augenblick war ihm nicht danach. Die Frau hatte das Bett mit den Flanellaken bezogen, damit er es auch schön warm hatte, während sie fort war. (Sie schliefen nach all den Jahren noch immer zusammen, sie waren einfach nie auf die Idee gekommen, es anders zu machen.) Nun waren die Bettücher durchgeschwitzt und schwer. Effroms Pyjama klebte an ihm wie ein durchgeregnetes Leichentuch.
Nachdem er seinen Mittagsschlaf verpaßt hatte, war er früh zu Bett gegangen, um wieder den glänzenden Spandexmädchen seiner Träume Gesellschaft zu leisten, doch sein Unterbewußtsein war eine unselige Verbindung mit seinem Magen eingegangen und hatte ihm statt dessen einen Alptraum geschickt. Er saß auf der Bettkante und hörte seinen Magen blubbern wie den Kochtopf eines Kannibalen, als wollte er sich durch ihn hindurchfressen und ihn von innen heraus verdauen.
Die Behauptung, daß Effrom nicht besonders gut kochen konnte, war eine Untertreibung von ähnlichem Kaliber wie die Feststellung, daß es sich bei Völkermord um eine nicht besonders erfolgversprechende PR-Strategie handele. Effrom war zu dem Entschluß gelangt, daß Tiefkühlkroketten eine wohlschmeckende Mahlzeit darstellten, die außerdem seine Kochkünste nicht überstrapazierten. Er hatte die Anweisungen auf der Packung sorgfältig studiert und dann ein paar einfache mathematische Operationen angestellt, um den Garungsprozeß zu beschleunigen: Zwanzig Minuten bei 190 Grad bedeuteten, daß man die ganze Angelegenheit auch innerhalb von elf Minuten bei 300 Grad erledigen konnte. Das Ergebnis seiner Rechenkünste hatte große Ähnlichkeit mit Holzkohlen, deren Kern gefroren war, aber weil er endlich ins Bett wollte, hatte er sich auf die alte Faustregel besonnen, daß man nahezu alles mit einer geballten Ladung Ketchup hinunterbekam, und war entsprechend verfahren. Er hatte nicht die geringste Ahnung, daß die Geister der verkohlten Kroketten zurückkehren und ihn mit Alptraumzeppelinen heimsuchen würden. Nie in seinem Leben hatte er eine solche Angst gehabt wie bei jenem Zeppelinangriff. Nicht einmal im Schützengraben, als die Kugeln über ihn hinwegpfiffen und der Wind Senfgas auf ihn zuwehte, hatte er sich so gefürchtet wie in dem Moment, als der Schatten des Zeppelin lautlos über ihn hinwegstrich.
Doch nun, als er auf der Bettkante saß, überkam ihn diese lähmende Furcht von neuem. Zwar verblaßte sein Traum allmählich, und er war ja nun in Sicherheit – er war zu Hause, in seinem Bett. Doch statt dessen hatte er das Gefühl, aus einem Alptraum erwacht zu sein, nur um wachen Auges mit etwas viel Schlimmerem konfrontiert zu werden. Irgendwer rumorte im Haus herum. Und machte dabei mehr Krach als ein Zweijähriger beim Topfschlagen.
Wer es auch sein mochte, er kam durch das Wohnzimmer. Die Fußböden im Haus waren aus Holz, und Effrom kannte jedes Quietschen und Knarren der Dielen. Im Augenblick kam das Quietschen aus dem Flur und bewegte sich auf ihn zu. Der Einbrecher öffnete die Tür zum Badezimmer. Zwischen dieser und der Schlafzimmertür lag nur noch eine einzige Tür.
Effrom fiel ein, daß er in der Schublade mit den Socken noch einen alten Revolver hatte. Reicht die Zeit überhaupt noch dafür? Er schüttelte seine Angst ab und hoppelte zur Kommode. Seine Beine waren noch steif und schwach, und beinahe wäre er vor der Kommode hingefallen.
Die Dielen vor dem Gästezimmer knarrten. Er hörte, wie die Tür aufgemacht wurde. Beeilung!
Er zog die Schublade auf und wühlte zwischen den Socken herum, bis er die Waffe fand. Es war ein alter englischer Revolver, den er aus dem Krieg mitgebracht hatte – ein Webley, in den allerdings Patronen für eine Automatik von Kaliber .45 paßten. Er knickte den Lauf ab wie bei einer Schrotflinte und betrachtete die Revolvertrommel. Leer. Mit der offenen Pistole in der Hand kramte er zwischen den Socken nach den Patronen. Jeweils drei davon steckten in einer halbmondförmigen Stahlplatte, so daß sich die sechs Kammern des Revolvers in zwei schnellen
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