Der kleine Dämonenberater
mich nicht ausreden und sagte statt dessen: ›Sie werden schlafen, und ich werde wach bleiben und auf Sie aufpassen. Sie sind Priester, und ich bin verlobt, also besteht kein Grund, sich über irgendwas aufzuregen. Außerdem können Sie in der Verfassung, in der Sie sind, unmöglich eine ganze Nacht in einem Zugabteil sitzend verbringen.‹
Ich glaube, in diesem Moment fiel mir auf, daß ich mich in sie verliebt hatte. Nicht, daß es eine Rolle gespielt hätte. Aber nachdem ich so lange die Mißhandlungen von Pater Jasper hatte erdulden müssen, war ich einfach nicht gefaßt auf die Art von Freundlichkeit und Zuneigung, die sie mir entgegenbrachte. Es kam mir nicht in den Sinn, daß ich sie in Gefahr bringen könnte.
Als der Zug aus dem Bahnhof rollte, schaute ich hinaus auf den Bahnsteig, und da sah ich Catch zum ersten Mal in seiner kleineren Gestalt. Wieso es in diesem Augenblick passierte und nicht früher schon, weiß ich auch nicht. Vielleicht war ich nun mit meinen Kräften völlig am Ende, jedenfalls verlor ich in dem Moment, als ich ihn auf dem Bahnsteig stehen und mich mit seinen rasiermesserscharfen Zähnen angrinsen sah, das Bewußtsein.
Als ich wieder zu mir kam, hatte ich das Gefühl, daß mein Rücken in Flammen stand. Ich lag auf einer Pritsche im Schlafwagen, und Amanda betupfte meinen Rücken mit Alkohol.
›Ich habe erzählt, daß Sie in Frankreich verwundet worden sind‹, sagte sie. ›Der Gepäckträger hat mir geholfen, Sie hier reinzubringen. Ich denke, Sie sollten mir vielleicht erzählen, wer Ihnen das hier angetan hat.‹
Ich erzählte ihr, was Pater Jasper getan hatte, ließ allerdings den Teil der Geschichte mit dem Dämon aus. Als ich zu Ende erzählt hatte, weinte ich wie ein Schloßhund, und sie hielt mich in den Armen und wiegte mich wie ein kleines Kind.
Ich weiß nicht genau, wie es dazu kam – vielleicht war es ein Moment der Leidenschaft oder wie immer man es nennen mag – jedenfalls lagen wir uns einen Augenblick später in den Armen und küßten uns, und ich fing an, sie auszuziehen. Als wir gerade davor waren, miteinander zu schlafen, sagte sie ›halt‹.
›Das hier muß ich noch ausziehen‹, sagte sie. Sie trug ein Armband aus Holz, in das die Initialen E+A eingebrannt waren. ›Wir können es auch sein lassen‹, sagte ich.
Haben Sie, Mr. Brine, jemals etwas gesagt, von dem Sie genau wußten, das Sie es Ihr Leben lang bereuen würden? Ich habe das getan. Es waren die Worte: ›Wir können es auch sein lassen.‹
Sie sagte: ›Dann lassen wir's lieber.‹
Ihre Arme um mich geschlungen, schlief sie ein; und ich lag schlaflos da und dachte über Sex und Verdammnis nach, aber das war ich ja schon aus dem Priesterseminar gewöhnt, wo ich mich jede Nacht mit den gleichen Gedanken herumschlug, nur daß ich nun dem Problem viel näher war.
Ich war gerade am Einnicken, da hörte ich Lärm am anderen Ende des Schlafwagens. Ich spähte durch die Vorhänge unserer Schlafkoje, um zu sehen, was dort los war. Catch kam den Mittelgang entlang und schaute auf seinem Weg in jede Kabine. Ich wußte damals noch nicht, daß er für alle anderen Menschen außer mir unsichtbar war, und so verstand ich nicht, warum die Leute in ihren Schlafkojen bei seinem Anblick nicht in wildes Geschrei ausbrachen. Die Leute riefen zwar irgendwas und schauten zu ihren Kojen hinaus, doch alles, was sie sahen, war Luft.
Ich schnappte mir meine Latzhose und sprang aus der Koje hinaus auf den Gang. Das Jackett und die Kerzenhalter ließ ich bei Amanda zurück. Ohne mich auch nur noch einmal bei ihr zu bedanken, rannte ich den Gang hinunter, um Catch zu entkommen. Noch im Rennen konnte ich ihn brüllen hören: ›Warum rennst du weg? Kennst du denn die Regeln nicht?‹
Ich kam zur Tür am Ende des Waggons, trat hindurch und zog sie hinter mir zu. Mittlerweile herrschte ein ziemlicher Aufruhr im Schlafwagen, allerdings nicht wegen Catch, sondern weil ein nackter Mann durch den Wagen gelaufen war.
Als ich durch die Tür zum nächsten Wagen schaute, sah ich den Schaffner, der den Gang entlangschritt und auf mich zukam. Catch hatte die Tür hinter mir schon fast erreicht. Ohne nachzudenken oder hinzuschauen, öffnete ich die Tür nach draußen und sprang nackt, denn ich hatte meine Latzhose noch immer in der Hand, vom Zug.
Der Zug fuhr in diesem Augenblick über eine Stelzenbrücke, und es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis ich auf den Boden aufschlug. Es waren bestimmt zwanzig Meter, und normalerweise
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