Der kleine Fluechtling
Armen zu fuchteln. Einer legte seine massive Hand auf Wollis Schulter. Wolli sah ihm in die Augen, und auch dort stand eine Frage.
Die Männer diskutierten und gestikulierten. Es waren arme polnische Kleinbauern aus dem Umland, die gar nicht alles aufzählen konnten, was sie dringend zum Leben gebraucht hätten. Sie kannten das Dominium seit jeher und waren gekommen, um sich mit diesem und jenem einzudecken, bevor ein neuer Herr den Riegel vorschieben würde. Nach Recht und Gesetz waren sie Plünderer.
Unvermittelt wurde es wieder still um Wolli, dann kam ein zungenschweres: »Wie chaißt du?«
Wolli tat keinen Mucks und ließ kein einziges Muskelfaserchen zucken. Da fingen die Polen an, ihn zu schütteln und zu knuffen und mit »Sagst du sofort Name« zu traktieren.
Es fruchtete nichts. Die Polen gaben auf, wandten sich neuerlich einander zu und redeten durcheinander. Aus ihrem Redeschwall erfasste Wolli auf einmal Namen. Namen von Habendorfern, die längst über alle Berge waren. Die drei Männer wiegten die Köpfe, pochten sich an die Schläfen, förderten immer neue Familiennamen zutage. Da ging Wolli auf, dass sie überlegten, wo er hingehörte.
Und dann war es so weit. »Du gecherst zu Wäber Wänig«, sagte der, der zuvor die Hand auf Wollis Schulter gelegt hatte.
Wolli wand sich.
Sie waren also dahintergekommen, was nicht allzu schwer war, wenn man sich mit den Familienverhältnissen in Habendorf ein wenig auskannte.
Er fingerte in seinem Hosenbund herum, kratzte hier und schabte dort. Die Männer schubsten ihn und riefen: »Wänig, Wänig!«
Wolli wollte nicht geschubst werden, deshalb gab er es zu. »Wolli Wänig.«
Plötzlich grinsten die Polen. Von einer Sekunde auf die andere ließen sie Wolli stehen und begannen allerlei nützliche Gerätschaften zusammenzutragen, um derentwillen sie schließlich hergekommen waren.
Wolli schien vergessen. Die Polen mussten den versprengten Wänig-Bengel nicht fürchten. Er konnte ihnen weniger anhaben als der blinde Wurf einer toten Katze. Eigentlich erstaunlich, dass sie sich solche Mühe gegeben hatten, seinen Namen herauszufinden. Sagten seine ganze Erscheinung und sein Verhalten nicht schon genug über ihn aus? Diese verwahrloste Figur konnte ja kaum zum Gefolge des neuen Barons gehören. Nein, sicher nicht, dennoch war es klüger, sich zu vergewissern und nachzuforschen, mit wem man es zu tun hatte in diesen gefahrenträchtigen Zeiten.
Der Deichselarm hinter dem steifbeinigen Gaul bog sich durch, als sie die letzte Axt und die letzte Harke auf den Karren warfen. Sie nickten sich befriedigt zu, zogen den Bremsbaum weg und wendeten bedächtig. Die aufgetürmte Schleichware ächzte und schaukelte.
Mit der Nase bereits auf Heimwärtskurs kam ihnen Wolli wieder ins Visier. Er kauerte hinter dem Handwagen, auf dem die Polen den Deutz aus der Scheune gezogen hatten. Zwei fette Ölstreifen markierten den Weg. Wolli fuhr seit einiger Zeit mit dem Zeigefinger in einer schillernden Ölinsel herum, die sich in einer kleinen Mulde gebildet hatte. Als er merkte, dass er neuerlich die Aufmerksamkeit der Polen erregt hatte, zuckte seine Hand zurück, als habe das Öl zu sieden begonnen.
Die Polen begannen wieder zu diskutieren. Sie spuckten Wörter aus und zwischendurch Rachenschleim, und sie wirkten zunehmend besorgt.
Was, wenn Wolli nicht sang- und klanglos verreckte – früher oder später? Was, wenn er lebendig in die falschen Hände geriet? Wenn er verhängnisvollerweise dem Woiwoden unter die Augen kam und von ihm ausgefragt wurde? Was, wenn Wolli vor der Obrigkeit drei schrankbreite Bärtige erwähnte, die mit ihrem gescheckten Gaul die Schätze des Dominium fortgeschafft hatten?
War es nicht sicherer, Wolli mitzunehmen und dafür zu sorgen, dass er dort landete, wo er hingehörte, nämlich bei seiner gottverdammten deutschvölkischen Großmaulrasse? Ja, das war es.
Einer der Polen rief: »Chomm, du chommen.« Die anderen klatschten in die Hände und klopften auf die Wagendeichsel, bis sie Wolli auf Trab gebracht hatten.
Gut einen halben Tag lang trottete Wolli neben dem Fuhrwerk her. Gegen Abend schob man ihn in eine Scheune, die zu einer polnischen Kate gehörte. Dort schlief er eine Nacht und dann noch mal eine. Den Tag dazwischen sah er zu, wie die Polen ihre Fuhre abluden, den Deutz-Motor auf einem Podest montierten, mit diversen Nachbarn über die Haferpresse verhandelten und noch dies und das taten. Mittags aß er die Hafergrütze, die ihm eine der
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