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Der kleine Fluechtling

Der kleine Fluechtling

Titel: Der kleine Fluechtling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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Zuflucht zu suchen.
    Wie auch immer, Wolli drückte die Tür von innen zu, rollte ein Fässchen davor und verkeilte es mit Holzklötzen.
    Damit aber hatte er sich in einen Raum gesperrt, der selbst tagsüber nur von vereinzelten schwachen Lichtbändern erhellt wurde, die durch die Bretterritzen sickerten.
    Wie eine Schermaus scharrte er von jetzt an durch die finstersten Gänge des Lagerraums. Er schlief auf einem Linsensack, hockte sich zum Essen auf eine Mehlkiste und verbrachte eine Menge Zeit damit, all die Schätze in seinem Gemach zu betasten, zu beriechen, zu bewundern. Zwischendurch pinkelte er in eine flache Ausschachtung im Boden, die halb voll Sand war. Dort hatten Kolonnen von Möhrenwurzeln und Kohlrabiköpfen – ihren Leib zu zwei Dritteln im Sand – von Oktober bis Februar überwintert. Weil sich Wolli nicht zum Klohäuschen am Wiesenrand hinüberwagte, füllte sich die Sandgrube bald auch mit verschiedenfarbigen Kothaufen.
    Wolli nistete sich im geheimen Vorratsspeicher ein wie eine Motte im hintersten Winkel der Kleidertruhe, und wie die Motte scheute auch er den helllichten Tag. Wolli fraß und schiss im Dunkeln, zwischendurch schlief er.
    Das ging fast zwei Wochen so, bis der Gestank aus der Grube Wurst und Nüsse, Birnen und sogar den Apfelsaft in den verkorkten Flaschen infiziert hatte.
    Da endlich trieb es Wolli hinaus. Er rollte das Fässchen weg, öffnete die Tür, schlich über den Flur zum Hauseingang und äugte ängstlich in die Runde. Was er sah, verminderte seine Furcht. Ein leiser Windhauch wiegte die Zweige der Obstbäume, die schon Knospen erkennen ließen. Auf der Wiese spross frisches Gras. Weit und breit war keine Spur eines Menschen zu entdecken, kein Großvater Scheller, kein uniformierter Schatten. Mit vor-rotarmistischer Unbeschwertheit hüpfte Wolli in den blühenden, sonnenbeschienenen Löwenzahn.
    Er schlenderte auf dem Hof herum, musterte ein Fuhrwerk, das die Vorderräder eingebüßt hatte und aussah, als sei es demütig in einem Kniefall erstarrt; er kickte ein paar Steine weg, und er starrte lange Zeit zur Landstraße hinüber. Dann wurde ihm langweilig. Weil es hier draußen offenbar nichts weiter Sehenswertes gab, schlüpfte er in die Scheune.
    Dort fand Wolli die unversehrte Haferpresse und sichtete einen Haufen alter Decken, unter denen er den von Ulrich so verehrten Deutz-Einzylinder vermutete.
    Wolli umkreiste den vermummten Deutz, zupfte hier und lupfte da, aber er wagte es nicht so recht, den Motor freizulegen. Stattdessen kehrte er ins Vorratslager zurück und fasste Proviant. Er hatte soeben beschlossen, in die Scheune umzuziehen. Dort baute er sich ein Gewölbe aus Strohballen. Darin legte er sich am Abend nieder.
    Früh am nächsten Morgen rieb er sich den Schlaf aus den Augen, stand auf und zog resolut die Decken weg, die den Deutz-Motor verhüllten. Daraufhin starrte er eine Weile auf die Maschine, konnte sich jedoch nicht vorstellen, was es an ihr in den höchsten Tönen zu loben gab.
    Möglicherweise, ging es ihm durch den Kopf, spielte der Motor seine Trümpfe erst aus, wenn er lief.
    Wolli fühlte hier, klopfte da und begann dann ungeschickt an dem Gehäuse herumzudoktern. Er war zwar von Geburt an ein Langfinger, hatte aber zwei linke Hände, wenn es darum ging, Schräubchen zu drehen oder Hebelchen zu bedienen. Und natürlich hatte er nicht die blasseste Ahnung, wie man so einen Motor zum Laufen bringen konnte. Wolli war ein feiner Spitzel, ein schlauer Dieb, doch ausgeklügelten technischen Prozessen hatte er nie folgen können.
    Er fummelte gerade am Glühkopf herum, als ihm eine Mischung aus Schweißgeruch, Alkoholausdünstung und Knoblaucharoma in die Nase stieg, die er bisher noch nie erschnuppert hatte.
    Sie waren zu dritt, und er hatte sie nicht bemerkt.
    Wollis Seele schrie nach der Garnkiste, nach dem verborgenen Lagerraum, nach den aufgeschlitzten Plumeaus, in deren Federn er sich hätte verstecken können. Doch nichts von all dem war nah genug, und dieses Wissen bannte Wolli an Ort und Stelle. Er hätte versuchen können, wegzurennen, über den Hof und über die Äcker oder die Landstraße hinauf. Aber Wolli tat es nicht. Wolli-Mausgesicht stand zu einem Bild erstarrt neben dem Deutz und glotzte.
    Nichts rührte sich. Hatte ihn ein Hirngespinst genarrt? Langsam blickte er auf. Da redeten die Männer plötzlich alle auf einmal.
    Wolli verstand kein einziges Wort, aber hinter jedem hörte er ein Fragezeichen.
    Die Männer begannen mit den

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